So weit der Wind uns trägt
noch so viele Blondinen flachlegt.«
»Deine Ausdrucksweise lässt zu wünschen übrig.«
»So wie deine Lebensweise. Und im Gegensatz zu meinem Wortschatz ist das, was du tust, strafbar.«
»Zeig mich an, Paulinho.« Er nannte seinen Sohn absichtlich bei dessen Kindernamen – er wusste, dass Paulo sich wahnsinnig darüber aufregte. »Tu es. Mir macht das nicht mehr viel aus. Aber ich glaube, dass es dir selber schaden wird. Es dürfte deiner unaufhaltsamen Karriere als Sadist einen irreparablen Schaden zufügen, wenn bekannt wird, dass dein Vater möglicherweise
widernatürliche Unzucht
treibt.« Wenn es denn so wäre, dachte Rui bei sich. Nach einer kleinen Pause hatte Rui dann mit müder Stimme nachgefragt: »Was willst du eigentlich von mir?«
»Ich will, dass du diesen Erbschleicher von Ronaldo zum Teufel schickst. Und dir auch keine weiteren Lustknaben hältst.«
»Was versprichst du dir davon? Mehr Geld? Das wirst du ohnehin nicht bekommen: Ich werde alles, was ich nicht selbst noch verjubele, für gemeinnützige Zwecke spenden. Und jetzt, mein lieber Sohn, ist es an der Zeit, dass du diese Wohnung verlässt.«
»Liebend gern. Aber glaube nicht, dass ich meinen Kindern erlaube, weiterhin Kontakt mit dir zu pflegen. Du magst ihr Großvater sein – aber du bist kein guter Umgang für sie.« Dann war Paulo, ohne einen Abschiedsgruß, gegangen.
Hätte Rui gewusst, wie man weint, wäre dies ein Moment gewesen, in dem er es getan hätte. Ihm die Enkel vorzuenthalten krönte Paulos lange Liste von Grausamkeiten.
Doch das alles hatte sich gestern ereignet. Heute sah die Welt bedeutend freundlicher aus. Es würde Paulo nicht gelingen, die Enkel von ihm fernzuhalten. Sie waren groß genug, um selber zu entscheiden, wen sie sehen wollten und wen nicht. Rui war sich hundertprozentig sicher, dass sie ihn gern trafen, und das nicht nur, um gegen ihren Vater zu rebellieren. Sie mochten ihn. Seit er in Lissabon lebte, hatte er sie verwöhnt, wie nur ein Großvater Kinder verwöhnen durfte. Es hatte ihm viel Spaß gemacht. Und tat es noch. Die beiden, ein Junge und ein Mädchen, waren jetzt zwölf und elf Jahre alt, und Rui lud sie oft ins Kino oder ins Theater ein. Sie machten nicht den Eindruck, als begleiteten sie ihn aus Pflichtbewusstsein. Sie genossen seine Gesellschaft, so wie er die ihre genoss.
Die Enkel hatten sogar ihn und Jujú einander wieder näher gebracht. Manchmal kam sie ihn gemeinsam mit den Enkeln besuchen, manchmal war er bei ihr zu Gast, um dort mit den Kindern Karten zu spielen. Dass ihre Großeltern getrennt lebten, schien die beiden nicht sonderlich zu irritieren. Sie hatten ein paarmal nachgefragt, und immer war die Antwort gewesen: »Nein, wir sind nicht geschieden. Aber ein richtiges Ehepaar sind wir auch keines mehr. Eher gute Freunde.« Hatte es sich anfangs noch um eine Notlüge gehandelt, um die Kinder nicht zu verunsichern, so war ihre Beziehung mittlerweile wirklich zu einer Freundschaft gereift, wie sie sie in 45 Ehejahren nicht erlebt hatten.
Jujú, fand Rui, entsprach äußerlich in rein gar nichts dem Klischee der lieben Oma. Sie war weder dick, noch trug sie ihr Haar zu einem Dutt aufgesteckt. Sie färbte sich sogar die Haare, und ihre Frisur war modisch auftoupiert. Auch ihre Garderobe war jugendlicher, als man es von Damen ihres Alters kannte, und sie trug sie mit der Grandezza einer Frau, die ihre Schönheit nie in Frage gestellt hatte. Für ihn galt wahrscheinlich dasselbe – er jedenfalls fand, dass er deutlich frischer aussah als seine Altergenossen. Ob ihre Enkelkinder sie ebenfalls so wahrnahmen? Oder waren sie in deren Augen nur geschlechtsneutrale, asexuelle, alte Menschen, die sich komisch anzogen, komisch sprachen, einen komischen Musikgeschmack hatten und überhaupt nichts vom Leben und der Liebe verstanden? Rui fand die Vorstellung amüsant. Putzig waren sie, die jungen Leute, deren Gedanken ausschließlich um sich und ihre Liebesdramen kreisten, von denen die meisten bereits nach zwei Wochen von der nächsten, der ultimativen Tragödie abgelöst wurden.
Warum eigentlich nicht?, dachte er plötzlich. Rui legte eine Beethoven-Platte auf und ging zu dem Sekretär, an dem er seit Jahren Ronaldos Fanpost beantwortete, eine Beschäftigung, die seine Tage immerhin mit einem Minimum an Sinn füllte. Der Brief dieses Mädchens lag obenauf. Er nahm ihn und las ihn ganz durch. Wie anrührend er war, so rein und unschuldig. Wenn das arme Kind wüsste, was für ein
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