So weit der Wind uns trägt
hatte. Oh, herrlich wäre das, einen Mann wie Ronaldo Silva verwöhnen zu dürfen!
Ein Blick in den Spiegel reichte, um Carolinas schöne Trugbilder mit einem Schlag zu zerstören. Hässlich war sie eigentlich nicht. Aber mit den atemberaubenden Blondinen, die Ronaldo immer am Arm hatte, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, konnte sie nicht konkurrieren. Sie sah aus wie der Inbegriff einer Matrone, trotz ihrer Jugend. Und ihr war klar, dass sie bei einem Mann wie Ronaldo Silva absolut chancenlos war. Sie war schließlich Realistin. Meistens jedenfalls.
Einmal hatte sie der Versuchung nachgegeben, ihrem Schwarm zu schreiben. Sie hatte in einer Zeitschrift seine Autogrammadresse gefunden, und aus einem verrückten Impuls heraus hatte sie sogleich einen Brief aufgesetzt, in dem sie ihm ihre Verehrung kundtat. Sie war bewusst höflich und sachlich geblieben – man wusste ja, dass die Berühmtheiten von ihren Fans mit allen möglichen Obszönitäten belästigt wurden, und als so jemand wollte sie sich keinesfalls darstellen. Und obwohl Carolinas Verstand ihr sagte, dass sie niemals eine Antwort erhalten würde, schlug ihr Herz sie mit der Blindheit der Hoffnung. Vielleicht würde er ja doch, eines Tages …?
Ein lautes Rumpeln aus der Nachbarwohnung ließ Carolina zusammenzucken. Die alte Dame von nebenan war sehr krank, ob sie gestürzt war? Carolina riss sich von ihrem Fernseher los, klingelte bei der Nachbarin und schloss, nachdem von drinnen nichts mehr zu hören war, mit ihrem Ersatzschlüssel auf. Sie fand Dona Maria da Conceição röchelnd auf dem Fußboden. Sie drückte die dürre Hand der alten Dame und blieb, da ihr das Rufen einer Ambulanz sinnlos erschien, bei ihr, bis sie, keine fünf Minuten später, ihren letzten Atemzug getan hatte.
Ronaldo erhielt von der Familie Abrantes weder eine Benachrichtigung noch eine Einladung zur Beisetzung, und er war darüber mehr als erleichtert. Er erfuhr vom Tod der »Tante« aus der Zeitung, in der die Familie eine kleine, aber hübsche Anzeige platziert hatte. Was er nicht erfuhr, war, dass Maria da Conceição Abrantes ihren Nichten und Neffen jeweils einen Geldbetrag vermachte, der für jeden der fünf reichte, um sich davon ein kleineres Auto zuzulegen. Vielleicht wäre Ronaldo, wenn er nur ein besserer »Neffe« gewesen wäre, allein in den Besitz dieser unglaublichen Barschaft gelangt, die Maria da Conceição, so rekonstruierte man später, den jahrzehntelangen Zuwendungen ihrer einstigen Dienstherrin Dona Mariana sowie der Wertsteigerung von Aktien der Coca-Cola Company verdankte, in die sie investiert hatte. Und vielleicht war es besser, dass Ronaldo dieses Wissen erspart blieb. Es hätte ihn aufgefressen – trotz der Hoffnung, dass sein alter und ihm immer lästiger werdender Gönner ihm ein Vermögen vererbte.
Rui da Costa fragte sich häufig, wie es hatte passieren können, dass zwei kultivierte Menschen wie Jujú und er ein solches Monstrum hatten in die Welt setzen können. Paulo hatte sich zu einem Wesen entwickelt, das Rui – Vaterliebe hin oder her – zu den niedrigsten Lebensformen dieses Planeten zählte: Er war ein hoher Funktionär der PIDE . Und als wäre das allein nicht abstoßend genug gewesen, missbrauchte Paulo darüber hinaus all seine Machtbefugnisse. Ungeniert.
Er hatte nicht einen Funken Ehre, glaubte aber, seinem Vater dessen vermeintlich lasterhaftes Leben vorhalten zu dürfen. Sooft Rui über das Gespräch nachgrübelte, das er am Vortag mit seinem Sohn geführt hatte, so wenig erschloss sich ihm Paulos eigentliche Absicht. Warum hatte er ihm gedroht? Was bezweckte er damit? Wollte er mehr Geld aus ihm herauspressen? Hatte er ihn nicht äußerst großzügig bedacht? Was sollte das alles? Noch einmal ging er im Kopf den Dialog durch, der in einer solchen Form zwischen Vater und Sohn niemals hätte stattfinden dürfen. Das war es, was wirklich widerwärtig war, nicht die Vergehen, deren Paulo ihn bezichtigte.
»Du solltest darüber nachdenken, diese häufigen Zusammenkünfte mit deinem ›Neffen‹ aufzugeben. Es ist ekelerregend. Und es wirft ein schlechtes Licht auf die ganze Familie«, hatte Paulo naserümpfend gesagt.
»Es ist mir neu, dass du über so viel Phantasie verfügst. Ich weiß nicht genau, was du dir da alles ausmalst, aber ich schätze, das meiste davon entspricht nicht den Tatsachen.«
»Ich will die Details lieber nicht so genau kennen, Pai. Jeder weiß, was ihr treibt, auch wenn Ronaldo
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