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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hatte. Er legte seine zwei mickrigen Paare auf den Tisch und stand schon auf, bevor er Diogos Karten gesehen hatte.
    »He, willst du deinen Gewinn nicht mitnehmen?«, rief Diogo ihm nach.
    Was, mit diesem Dreck hatte er gewonnen? Unfassbar. »Nein, den darf Assis einstreichen. Damit er sich auf seine letzten Tage in Angola mal etwas Nettes, Weiches gönnen kann.«
    »Feigling!«, hörte er Assis noch rufen, bevor die Tür hinter ihm zufiel.
    Ricardo schaute auf die Uhr. Schon nach neun. In Portugal war es eine Stunde früher. Ja, da konnte er noch telefonieren. Der Anruf war längst überfällig. Wenigstens seiner Mutter sollte er Bescheid sagen, dass er in wenigen Tagen wieder zurückkäme. Er hoffte, dass die Verbindung zustande kam. Meistens musste man sehr viel Geduld aufbringen, wenn man ein internationales Gespräch führen wollte. Aber schon nach einer halben Stunde klingelte es, und das Fräulein vom Amt verband ihn mit seiner Mutter. Es rauschte und kratzte zwar in der Leitung, doch die Störungen waren nicht so schlimm wie gewohnt.
    »
Mãe
, ich bin es.«
    »Ricardo! Geht es dir gut? Wo steckst du? Warum hast du dich so lange nicht gemeldet? Wir sorgen uns hier wie verrückt!«
    Wir?, fragte Ricardo sich. Wer sollte das sein? Sprach sie schon von sich im Pluralis Majestatis?
    »Ich muss es kurz machen,
mãe
. Ich bin jetzt in Luanda, am Montag geht es zurück nach Portugal. Mir geht es gut. Ich melde mich dann, wenn ich angekommen bin, ja?«
    »Ja. Pass auf dich auf, Schatz!«
    »Ist gut.
Adeus, mãe
.« Er legte auf und schüttelte den Kopf. Es musste Jahre her sein, dass sie ihn »Schatz« genannt hatte. Tja, was eine längere Abwesenheit alles bewirken konnte.
    Anders als üblich standen keine anderen Soldaten Schlange vor dem Telefon. Wahrscheinlich hatten die ihre obligatorischen Anrufe zu Hause alle schon getätigt. Ricardo hätte Lust gehabt, die Stimme eines seiner alten Freunde zu hören, einfach so. Aber die hatten alle kein Telefon zu Hause. Seine Großmutter hatte einen Anschluss, aber er wusste die Nummer nicht.
    Ricardo hatte große Lust, mit jemandem zu sprechen, der nicht Soldat war. Nach all dieser Zeit war er seiner Kameraden überdrüssig. Er bat um die Genehmigung, den Apparat ein weiteres Mal zu benutzen, und gab der Telefonistin eine Nummer, die sich ihm unauslöschlich ins Gehirn gebrannt hatte. »In Paris, Frankreich«, sagte er der Dame. Es war nichts weiter als eine Vermutung. Vielleicht hatte Marisa sich die Zahlenfolge – 4   597   220  – nur ausgedacht, und vielleicht hatte sie mit »internationaler Nummer« gar keinen speziellen Anschluss in Frankreich gemeint.
    Ricardo druckste auf dem Flur vor dem Büro herum und machte sich auf eine längere Wartezeit gefasst. Doch bereits nach etwa einer Stunde rief man ihn hinein – die Verbindung stand.
    »Allô?«
    Ricardo spürte sein Herz in seinem Hals schlagen.
    »Allô? Marisa?«
    »Qui est-ce?«, kam es ein wenig ungehalten.
    Es war ihre Stimme, kein Zweifel. Das war ja unglaublich! Sie war tatsächlich unter dieser Nummer zu erreichen, und sie war da. Was sollte er ihr bloß sagen? Was für eine total idiotische Idee war das schon wieder gewesen?
    »Hier ist Ricardo,
olá
. Ich dachte, ich melde mich mal von der Front.« Himmel, etwas Blöderes konnte ihm wohl nicht einfallen?
    »Ricardo! Wo bist du? Ist alles in Ordnung?«
    Das hatte er jetzt davon. Sie dachte, er wäre dem Wahnsinn anheimgefallen. Sie musste ihn ja für total durchgedreht halten, wenn er abends um halb elf eine französische Telefonnummer wählte und mit einer Frau sprechen wollte, die er seit einer Ewigkeit nicht gesehen hatte. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie sich überhaupt an ihn erinnerte.
    »Oh, äh, ja, mir geht’s gut. Ich bin in Angola. Aber in ein paar Tagen geht es heimwärts. Und du? Wo bist du? Was treibst du so?«
    Sie beantwortete seine Fragen zunächst nicht, sondern fragte selber nach: »Woher hast du diese Nummer?«
    »Hast du das schon vergessen? Du hast sie mir mal genannt.« Trotz des Knisterns in der Leitung hörte er sie am anderen Ende scharf einatmen.
    »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
    »Doch. Hör mal, ich habe nicht mehr so viel Zeit. Ich wollte dir nur sagen, dass ich an dich gedacht habe. Bist du demnächst mal wieder in Portugal? Sehen wir uns?« Ricardo wusste, dass das in ihren Ohren verzweifelt klingen musste – er hörte sich bestimmt an wie einer, der sich innerhalb der nächsten halben Stunde umbringen

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