So weit der Wind uns trägt
das Bimmeln der Eléctricos, gedämpftes Motorenbrummen –, hätte sie fast glauben können, im Alentejo zu sein.
»Weißt du noch, wie wir damals immer unter der Korkeiche gesessen haben?«, fragte sie Fernando und öffnete die Augen.
Und ob er das wusste! »Gesessen?« Er zwinkerte sie an, und einen Wimpernschlag lang waren sie wieder jung und verliebt.
Sie lächelte und schloss dann erneut die Lider. Es war so schön, hier mit ihm zu sitzen. Sie wollte diese friedliche, beschauliche Stimmung nicht zerstören. Nicht jetzt. Jujú gab sich noch ein wenig Zeit. Wenn die Sonne so tief stand, dass sie nur noch die Krone der Kastanie auf der anderen Seite des Weges anstrahlte, dann würde sie es ihm sagen.
Fernando griff nach ihrer Hand, und schweigend saßen sie nebeneinander, gleichermaßen berauscht von dem Zauber dieses Sommertages wie von der Erinnerung an Zeiten, da sie nicht auf einer Bank hatten sitzen müssen.
Der Schatten am Stamm der Kastanie kletterte unaufhaltsam nach oben. Jujú gab sich einen Ruck.
»Weißt du noch, damals, an dem Tag, bevor du zurück in die Kaserne musstest …«
»Ja?«
»Da haben wir uns geliebt.«
»Ja.«
»Kannst du dich noch daran erinnern? Es ist über vierzig Jahre her.«
»Sechsundvierzig Jahre. Fast auf den Tag genau.«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Mein Gott, Fernando, du kannst einem wirklich manchmal Angst einjagen mit deinem Elefantengedächtnis.« Eine Biene umschwirrte sie, und sie wedelte sie unwirsch fort. »Herrgott noch mal, dieses blöde Viech hat einen Narren an mir gefressen.«
»Früher haben dir die Bienen nichts ausgemacht.«
»Heute tun sie es aber.« Erneut versuchte sie das Insekt zu verscheuchen, doch die Biene wurde davon nur noch wilder.
»Gleich sticht sie dich.«
»Nicht, wenn du sie vorher totschlägst.«
Fernando gab Jujú durch eine Geste zu verstehen, dass sie einen Moment lang stillsitzen sollte. Als die Biene sich auf ihrem Unterarm niederließ, schlug er mit der zusammengerollten Zeitung zu. Aber es war schon zu spät: Die Biene hatte ihren Stachel tief in Jujús Haut gejagt.
»Na bravo«, sagte sie. »Den Schlag hättest du dir in diesem Fall auch sparen können.« Sie rieb ihren Arm, als hätte die Zeitung einen Abdruck darauf hinterlassen. Doch zu sehen war nur die Einstichstelle, um die herum sich in kürzester Zeit ein hässlicher roter Fleck bildete.
»Da musste ich siebzig Jahre alt werden, um zum ersten Mal von einer Biene gestochen zu werden.«
»Schön, dass man auch in unserem Alter noch solche Premieren erlebt«, sagte Fernando.
Er würde gleich noch eine ganz andere Premiere erleben, dachte Jujú bitter. Mit zweiundsiebzig auf einen Schlag noch einmal Vater und Großvater werden, das konnten nicht viele von sich behaupten. Sie rieb sich die Handflächen. Sie juckten bestialisch. Auch unter ihren Fußsohlen verspürte sie einen unangenehmen Juckreiz. Hektisch kratzte sie mit den Fingernägeln an den Innenflächen ihrer Hände herum, doch das kribbelige Gefühl wollte nicht schwinden. Ihr Herz pochte immer heftiger, ihr Atem ging stoßweise. Meine Güte, nur weil sie ihr jahrzehntelanges Schweigen endlich brechen wollte, musste sie doch nicht so pubertäre Symptome von Prüfungsangst zeigen. Ihr brach plötzlich der kalte Schweiß aus. »Fernando, ich … mir ist nicht …« Weiter kam sie nicht mehr. Bewusstlos sackte sie in Fernandos Arme.
»Das ist ein herrliches Fleckchen Land.« Marisa saß auf der staubtrockenen Erde, den Rücken an den Baumstamm gelehnt, die Beine angezogen, und bewunderte das Hügelpanorama. Im Westen verglühte die Sonne. Sie war riesig und leuchtete in einem Orangeton, wie ihn Marisa so intensiv noch nicht gesehen hatte. Die Luft flirrte noch immer von der Hitze des Tages. Vor der langsam sinkenden Sonne zeichneten sich die vereinzelt stehenden, knorrigen Bäume als schwarze Silhouetten auf den Weizenfeldern ab. Olivenbäume und Korkeichen. Es war ein Bild von magischer Schönheit, und Marisa konnte den Blick nicht davon abwenden. Der Himmel verfärbte sich da, wo der rötliche Glanz der Sonne nicht mehr hinreichte, zu einem Blau, das zwischen Lila und Grün oszillierte. Die Wolken wurden von unten angestrahlt und reflektierten das glühende Licht. Man hörte das Zirpen der Grillen – und ein leichtes Donnergrollen, das aus weiter Entfernung zu ihnen drang.
»Klingt nach Gewitter«, sagte Ricardo. »Merkwürdig. Bekäme dem Land aber nicht schlecht, wenn es mal wieder regnen
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