So weit der Wind uns trägt
bildeten die moderneren beziehungsweise exotischeren Einrichtungsgegenstände einen interessanten Kontrast dazu. Im Wohnzimmer stand ein weißer Fernsehapparat. Eine riesige dunkelbraune Cord-Couch sowie nordafrikanische Poufs, Sitzhocker aus geprägtem Leder, waren um einen flachen Tisch herum angeordnet, der aussah wie ein überdimensionaler Essteller aus Messing. Auf einem modernen Sideboard stand eine Wasserpfeife, an den Wänden hingen Bilder verschiedener zeitgenössischer Künstler – aber keines von Laura Lisboa. Auf dem Marmorsims über dem Kamin stand die Steinskulptur einer nackten Frau. Ein Arraiolos-Teppich, der noch aus Dona Julianas Zeiten stammen musste, lag unter der Sitzgruppe, und im Erker befand sich unter dem Fenster ein sehr filigraner Sekretär aus dem 17 . Jahrhundert, der ebenfalls schon früher dort gestanden hatte. Dieses Zusammentreffen von Großbürgertum und Hippiekultur hatte etwas, keine Frage.
Laura waren die erstaunten Blicke ihres Sohnes nicht entgangen.
»Es hat sich ganz schön was geändert hier, nicht wahr?«
»Kann man wohl sagen.« Nach einer kleinen Pause fragte er: »Was ist mit Belo Horizonte passiert? Warum bist du dort weggegangen?«
»Es war mir zu einsam da. Nachdem Inácio gestorben war, ist Octávia in eine dieser scheußlichen Neubausiedungen gezogen, die sie am Ortsrand von Beja gebaut haben. Ihr war es auf der Quinta auch zu einsam. Sílvia und Xavier sind schon vor Jahren fortgegangen, aber das hast du ja, glaube, ich noch selber mitbekommen.«
»Ja. Habt ihr Belo Horizonte verkauft?«
»Nein, das habe ich nicht übers Herz gebracht. Es war meine Heimat über viele Jahre hinweg. Deine ja auch. Ich habe alle Erben ausbezahlt. Es gehört mir jetzt ganz allein. Aber ich weiß noch nicht so recht, was ich damit anstellen soll. Es verfällt zusehends.«
»Es war schon ganz schön verrottet, als ich zum letzten Mal dort war.«
»Ja. Aber egal, lass uns über die Zukunft reden.«
In diesem Moment huschte ein Mann über den Flur, den Ricardo noch nie gesehen hatte. Er hatte verstrubbeltes Haar und war, bis auf ein Handtuch, das er um die Hüften geschlungen hatte, nackt.
»Oh, äh … störe ich?«
Laura sah ihm fest in die Augen, als sei er ein Kind, dem sie nun eine unangenehme Nachricht überbringen musste. »Nein, du störst nicht. Und ich hoffe, er stört dich auch nicht. Das ist João Carlos, mein … Verlobter.«
Ricardo beglückwünschte sich zu seiner Voraussicht. Wenn er nicht vorher angerufen hätte, wäre er wahrscheinlich mitten in etwas hineingeplatzt, das er sich zwischen seiner Mutter und diesem Kerl nicht so genau vorstellen mochte. Dennoch amüsierte er sich über die verschämte Ausdrucksweise seiner Mutter. Warum machte sie so ein Theater? Sie war wahrhaftig alt genug, um einen Freund oder einen Liebhaber oder auch mehrere davon zu haben.
»Was ist mit Felipe passiert?«
»Ach, das tut doch jetzt nichts zur Sache. Ich erzähle es dir ein anderes Mal. Und du, hast du ein Mädchen? Wirst du mir demnächst eine patente amerikanische Braut präsentieren?«
»Nein.«
»Schade. Und du willst mir auch keine dicken, blonden Enkelchen schenken? Ts, ts.«
Er erwiderte ihr Lächeln und zog dabei eine Augenbraue hoch.
Laura erinnerte diese Miene fatal an einen jungen Mann, den sie sehr geliebt hatte. Als er noch Jakob hieß.
»Und was macht Jack so? Wie sieht er aus? Wie geht’s ihm?«
»Ich habe einen Haufen Fotos mitgebracht. Aber – ich habe dir doch auch welche geschickt, oder?«
»Ja, hast du. Aber die ersetzen natürlich keinen Live-Bericht.«
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Das meiste habe ich dir ja geschrieben oder am Telefon erzählt.« Das war stark übertrieben, wie Ricardo nur zu genau wusste. Seine Briefe waren kurz und unpersönlich gewesen, seine Anrufe nicht minder. Er hatte sich nur aus Pflichtbewusstsein gemeldet, nicht aus einem echten Mitteilungsbedürfnis heraus.
»Tja, es geht ihm so weit ganz gut, denke ich. Er hat vier Oscars gewonnen und ist eine ziemliche Berühmtheit in der Branche. Geld hat er trotzdem keines. Ich glaube, es geht alles für Elsas Pflege drauf. Sie sitzt im Rollstuhl. Multiple Sklerose. Aber sie hält sich wacker. Sie ist wirklich eine tolle Frau.«
Den letzten Satz hatte Laura gewiss nicht hören wollen. Zum Glück lenkte ihr
Verlobter
João Carlos von dem Thema ab. Er war frisch geduscht, duftete nach Unmengen von Rasierwasser und trug über seiner schlabbrigen weißen
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