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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Gunst des Oberstleutnants höher stand als der Tenente, und zwar allein aufgrund seiner geistigen Gaben, verschaffte ihm einen gewissen Trost. Für Ferreira galt Wissensdurst mehr als Drill, Klugheit mehr als Gehorsam und Begeisterung fürs Fliegen mehr als alles andere. In Fernando hatte er den perfekten Ziehsohn gefunden – und Fernando in Ferreira den optimalen Ausbilder.
    Seinen Kameraden gefiel es nicht, dass ein so hohes Tier Fernando »adoptiert« hatte und ihn förderte. Ihnen gefiel auch nicht, dass Fernando sich in sämtlichen Disziplinen während der Grundausbildung als Ass hervortat, und noch viel weniger gefiel ihnen, dass er sich von ihnen absonderte und sich aufführte, als hielte er sich für etwas Besseres. Ausgerechnet er, der sich mit seinem breiten Alentejo-Dialekt gleich als Bauernlümmel zu erkennen gab und der seine freien Tage damit verbrachte, seine einzige »gute« Hose zu flicken!
    Fernando focht das alles nicht an. Er kannte das schon. Seine »Freunde« daheim hatten genauso reagiert, als er zum Verwalter ernannt worden war. Wie Sauen in ihrem Dreck suhlten sich die Leute lustvoll in ihrem Neid, und in all dem Schlamm, den sie dabei aufwühlten, übersahen sie, dass sie ganz allein für sich verantwortlich waren. Fernando konnte nun wirklich nichts dafür, wenn Pedro seinen Sold beim Kartenspiel verlor oder wenn Roberto dem Wein so sehr zusprach, dass er jeden Morgen verschlief. Er hatte keinerlei Verständnis für Müßiggänger, Faulenzer, Trinker oder Spieler – schon gar nicht, wenn sie, wie die meisten seiner Kameraden, aus Beamtenfamilien kamen. Sie hatten nie eine Missernte für ihren unstillbaren Durst auf Wein und den Patrão für ihre kargen Mahlzeiten verantwortlich machen müssen. Sie alle waren zur Schule gegangen, hatten im Winter genügend Brennholz gehabt und sich im Sommer an Flussufern und Stränden erfrischen können. Keiner von ihnen hatte je bei 42 Grad im Schatten mit gebeugtem Rücken auf einem Weinberg schuften müssen, nur um am Ende des Tages ein paar Tostões in die schwielige Hand gedrückt zu bekommen, mit denen man gerade mal einen Laib Brot bezahlen konnte. Oder einen Liter des Weines, von dem man an diesem Tag genug geerntet hatte, um zig Liter daraus zu keltern.
    Als um Punkt sieben die Glocke schrillte, die zum Frühstück in die Messe rief, schreckte Fernando aus seinen Erinnerungen hoch. Er legte Jujús Porträt zurück in die Bibel und diese in die Schublade des Nachttischs. Er stand auf, strich die Decke auf seinem Bett glatt und hastete los.
    »Abrantes«, begrüßte ihn Roberto mit schadenfrohem Grinsen, »du hast doch wohl nicht etwa verschlafen?« Er sagte es so laut, dass jeder im Raum es hören konnte, trotz des lauten Geklappers von Besteck und Geschirr auf den schlichten Holztischen.
    »Natürlich nicht. Du weißt doch, dass ich ›übernatürlich‹ bin und gar nicht schlafe.« Damit griff Fernando ein Wort auf, das er kürzlich zufällig aufgeschnappt hatte, als die anderen sich anscheinend über ihn das Maul zerrissen hatten. Er empfand es durchaus nicht als beleidigend. »Allerdings habe ich einen ziemlich natürlichen Hunger.« Er nahm sich eine wellige Scheibe Brot aus dem Korb, bestrich sie mit der bedenklich dunkelgelben Butter sowie etwas Marmelade und verzehrte sie mit großem Appetit. Die Beschwerden seiner Kameraden über die Qualität des Essens konnte er nicht recht nachvollziehen. Alles in allem war die Versorgung gut. Es gab reichlich zu essen, und es gab täglich Fleisch. Alles, was darüber hinausging, wäre Fernando dekadent erschienen.
    »Und wie kommt es, dass du schon hier bist, Almeida? Wie mir scheint, sogar in nüchternem Zustand?« Fernando sah Roberto dabei nicht an, sondern widmete sich ganz seinem Brot, von dem er erneut einen großen Bissen nahm. Er hatte die Frage ebenfalls so laut gestellt, dass jeder sie mitbekam.
    »Abrantes! Almeida! Noch ein Ton, und ich lasse Sie die Latrinen putzen!«
    Keiner von beiden hatte bemerkt, dass Major Correia Pimentel den Raum betreten hatte. Jeder fürchtete den Major und dessen drakonische Strafen für geringfügigste Abweichungen von der Disziplin oder auch nur der Hausordnung.
    »Sehr wohl, Herr Major!«, riefen Fernando und Roberto in schönstem Gleichklang, die von ihren Plätzen aufgesprungen waren und vor Pimentel stillstanden.
    Den Rest des Frühstücks nahmen sie schweigend ein. Dabei wechselten sie gelegentlich ein komplizenhaftes Grinsen über den Tisch hinweg.

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