So weit der Wind uns trägt
geblieben war, hatte ihre Schwestern, zusätzlich zu dem relativ kleinen Stück Land, das diese erhalten hatten, auszahlen müssen. Dennoch wäre das allein noch nicht ausreichend gewesen für einen derart stetigen Verfall. Es war schlicht und ergreifend Misswirtschaft gewesen, die das einst feudale Gut in den Ruin getrieben hatte. Erst hatte der gutmütige Octávio, Marianas Mann, eine Reihe von Fehlentscheidungen getroffen, dann hatte Inácio, ihr Schwiegersohn, mit seinen Großmaul-Allüren und mangelnder ökonomischer Weitsicht der Quinta den Rest gegeben.
Dona Julianas Mann, Rui da Costa, hatte, anders als die Männer der anderen Schwestern, immer darauf beharrt, das Stück Land aus der Mitgift seiner Frau zu behalten und zu bewirtschaften. Es war bis zu ihrem Tod auf Dona Juliana eingetragen geblieben. Es handelte sich um den etwa 500 Hektar großen Korkeichenwald am östlichen Ufer des Stausees, an dem Ricardo als Junge seine aerodynamischen Experimente durchgeführt hatte – und an dem er sich mit Marisa getroffen hatte. Als Dona Juliana starb, hinterließ sie den Großteil dieses gewinnträchtigen Grundstücks zu gleichen Teilen ihren Kindern, Paulo und Laura, wobei Paulo seines gar nicht schnell genug an Laura verkaufen konnte. Ein kleines, unbewirtschaftetes und daher wertloses Stück davon vermachte sie jedoch einer anderen Person, was bei der Testamentseröffnung vor gut fünf Jahren für sehr viel Unruhe gesorgt hatte. Damals hatte Ricardo sich nicht für die Details interessiert – alles, was mit seiner Großmutter Juliana zu tun gehabt hatte, also auch ihr Nachlass, waren ihm herzlich egal gewesen. Er wollte nicht auf irgendein Erbe warten, auf den Tod anderer Menschen spekulieren. Er hatte nie etwas anderes gewollt, als es selber zu etwas zu bringen. Dennoch irritierte ihn dieser unerwartete Erbe, und zwar heute viel mehr als damals.
Ein gewisser Fernando Abrantes, hatte Dona Juliana verfügt, solle 50 Hektar ihres Landes bekommen, nämlich genau jenes Flurstück, das im Norden an die Straße zum Dorf grenzte und im Osten bis zur Grenzmarkierung der Gemeinde reichte. Im Westen endete es bei dem alten Brunnen und im Süden an dem Waldweg. Es handelte sich um ein unscheinbares Stück Land, das weder besonders fruchtbar noch von ertragreichen Bäumen bestanden oder von herausragender landschaftlicher Schönheit war. Das einzig Interessante daran war eine enorme alte Korkeiche, die viel zu groß und knorrig geworden war, als dass sie noch eine nennenswerte Ausbeute an Kork hergegeben hätte, und die mittlerweile zu einer Art Wahrzeichen geworden war.
Warum in Dreiteufelsnamen, fragte Ricardo sich, hatte seine Großmutter diesem Mann, der sich als greiser Ex-General entpuppte, dieses Land vererbt? Handelte es sich bei ihm um denselben mysteriösen Fernando, mit dem Oma Mariana ihn, Ricardo, immer verwechselt hatte? Aber wenn er ein Verflossener von Mariana war, was hatte dann ihre Schwester mit ihm zu schaffen? Dona Juliana würde ihm das nicht mehr erklären können, und seine Mutter, Laura, hatte keine Antwort auf diese Fragen gewusst. »Ist doch egal«, hatte sie gesagt, als er sie kürzlich darauf angesprochen hatte. »Es ist ja noch genug Land übrig. Gönn dem armen alten Kerl doch dieses Fitzelchen Erde. Wahrscheinlich hängen irgendwelche Erinnerungen von vor hundert Jahren dran.«
Ricardo hätte ihren Rat gern beherzigt. Doch ausgerechnet das Land, das nun diesem Abrantes gehörte, befand sich auf einer strategisch ausgesprochen gut gelegenen Anhöhe, die Ricardo zur Umsetzung seiner Pläne wichtig war. Na ja, dachte er, dann kaufe ich ihm das Land eben ab. Es ist alles nur eine Frage des Preises.
Ana Maria Delgado war eine patente Frau, die sich so schnell nicht ins Bockshorn jagen ließ. Doch das ehemals prachtvolle Haus, das zur Ruine zu verkommen drohte, sowie die gespenstische Ruhe, die über dem Gelände lag, empfand sogar sie als bedrückend. Wenn nicht das Röhren ihres Fords gewesen wäre, den sie, wie immer mit laufendem Motor, vor dem Haupteingang abgestellt hatte, hätte sie sich gefühlt wie in einem gruseligen Traum.
Sie stapfte die Stufen zur Haustür hinauf und zog an der Glocke. Sie klang rostig und scheppernd. Nichts tat sich. Ana Maria ging vorsichtig eine Stufe rückwärts, um einen besseren Blick auf die Vorderfront des Hauses zu haben. Kein Fenster war geöffnet, in keinem sah sie Bewegung. Als sich unvermittelt die Tür vor ihr öffnete, wäre sie beinahe die
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