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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Und das, noch bevor der Hauptgang aufgetragen und die erste Flasche Wein geleert war.
    »Ach Quatsch, Heiraten ist schließlich was für Spießer.« Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas, obwohl er genau wusste, dass das seinem klaren Denkvermögen in diesem Augenblick nicht gerade zuträglich war. »Im Übrigen pflege ich mich nie für aussichtslose Unternehmungen ins Zeug zu legen.«
    Bildete er sich das ein oder sah Marisa wirklich ein wenig enttäuscht aus? Ha, es war genau so, wie er es sich gedacht hatte: Sie hatte insgeheim darauf gehofft, dass er sie fragte.
    »Feigling«, sagte sie nun mit einem arroganten Lächeln. Doch in ihrer Stimme lag Zärtlichkeit.
    »Das nennt man Klugheit. Von Mutproben halte ich nichts. Meine letzte habe ich im Alter von sieben hinter mich gebracht – erfolgreich, versteht sich.«
    »Klar. Da musstest du wahrscheinlich auch nur Messwein aus der Sakristei klauen.«
    Er lachte laut heraus, denn genau darin hatte die dämliche Mutprobe bestanden. Hinterher hatten er, Joaquim und Manuel noch stundenlang gekotzt, weil ihnen der süße Wein überhaupt nicht bekommen war.
    »Ich war sechs, als ich Messwein klauen sollte. Und Hostien habe ich auch noch mitgebracht.«
    »Na ja, Mädchen haben es leichter, unartig zu sein, weil man es von ihnen weniger erwartet.«
    »Du willst mich doch nicht allen Ernstes als unartig bezeichnen?«, fragte sie ihn mit kokettem Augenaufschlag.
    Ricardo wurde es bei dem Gedanken an einen ziemlich unartigen Abend auf der Ladefläche eines Pick-ups vor fast sechs Jahren ganz anders. Ihm war auf einmal sehr heiß. Er lockerte seine Krawatte und knöpfte den obersten Hemdknopf auf. »Nehmen wir noch eine Flasche von dem Chablis?«
     
    Es war keine gute Entscheidung gewesen, zu José zu gehen. Anstatt bei dem Freund, wie erhofft, Ablenkung von seinem Liebeskummer zu finden, hatte Cristiano dort das genaue Gegenteil erlebt. José hatte ihm erzählt, dass er Marisa mit einem Unbekannten auf der Terrasse eines Restaurants gesehen hatte, eines Lokals, das für die Qualität seines Essens ebenso berühmt war wie für die hohen Preise.
    »Sie hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, so zu tun, als schäme sie sich für diesen Verrat. Sie hat mir sogar zugewinkt aus diesem Bonzenschuppen! Wie findest du das?«
    Cristiano fand das gar nicht mal schlecht, bewies es doch, dass Marisa zu ihrem alten Ich zurückgefunden hatte. Er würde sich allerdings hüten, dies zu äußern. Viel mehr brannte er außerdem darauf, Näheres über diesen Kerl zu erfahren. »Wie sah er aus? Was hattest du für einen Eindruck? Ist er nur … ein x-beliebiger Freund? Oder wirkten sie mehr wie …«
    »Ein Liebespaar? Weiß nicht. Ja, kann sein. Der Typ hat ihre Hand gehalten. Und ihre Köpfe steckten ziemlich nah beieinander.«
    Cristiano hatte das Gefühl, seine Eingeweide würden alle ein Stück nach unten rutschen. Er hatte nicht gewusst, dass Eifersucht sich auf so physische Weise manifestieren konnte. Und das bei ihm, der sich gern für offene Beziehungen und Sex ohne Besitzansprüche starkmachte. Trotzdem konnte er gar nicht genug über den Rivalen erfahren.
    »Wie sieht er denn nun aus? Alt, jung, groß, klein, dick, dünn?«
    »Keine Ahnung, Mann. Sie saßen ja. Jung, würde ich sagen, also so in unserem Alter etwa. Dunkelhaarig. Nicht besonders gut aussehend. Aber reich. Reich sah er aus. Wie so ein scheißamerikanischer Tourist.«
    Cristiano stöhnte innerlich auf. Ein Portugiese als Widersacher wäre ihm lieber gewesen. Und ein Mann aus seinen Verhältnissen ebenfalls. Aber ein reicher Ami? Das war so ziemlich das Einzige, womit er seiner Meinung nach nicht konkurrieren konnte. Cristiano stand auf und holte sich eine Flasche Bier aus Josés Kühlschrank, ohne dem Freund eine mitzubringen.
    Um halb vier Uhr morgens kam er nach Hause, sturzbetrunken und noch unglücklicher als zuvor. Im Treppenhaus roch es nach Dona Carolinas
açorda de marisco
. Cristiano glaubte, sich übergeben zu müssen. In seiner Wohnung verflog die Übelkeit schnell wieder. Er machte sich nicht die Mühe, sein Sofa zum Bett umzubauen. Er warf sich in voller Montur darauf und fiel kurz danach in einen tiefen, traumlosen Schlummer. In den wenigen Sekunden, die er zwischen Wach- und Schlafzustand verbrachte, glaubte er noch von nebenan die Beatles zu hören, die leise den Verlust von »Yesterday« beklagten.

50
    E inunddreißig Jahre. Würde sie ihn überhaupt noch wiedererkennen? Und er sie? Worüber

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