So weit der Wind uns trägt
heißen Brei herumzureden. »Ich hatte gehofft, von dir zu erfahren, was aus dieser Hochzeit geworden ist, vor der du noch schnell einen Jungen vom Land vernaschen musstest.«
Oh! Marisa erschrak. So direkt hätte er nicht werden müssen, nicht jetzt, wo sie so schön zusammensaßen und gerade ein vielversprechender Flirt aufkeimte. So ein zartes Pflänzchen musste man mit großem Fingerspitzengefühl behandeln. Er aber trampelte rücksichtslos darauf herum. Na schön, er wollte es ja nicht anders. »Hältst du dich dafür? Für einen armen, willenlosen, dummen Jungen vom Land? Wenn meine Erinnerung mich nicht sehr täuscht, warst du das schon damals nicht. Außerdem finde ich die Frage berechtigt, wer denn da wen vernascht hat? Man könnte es ja auch so sehen, dass ein verwilderter Wüstling die romantisch verklärte Laune eines naiven Mädchens schamlos ausgenutzt hat, oder nicht? Um sie dann, nachdem er hatte, was er wollte, mit verschmutzten Kleidern wie einen Sack Müll vor ihrer Bleibe abzuladen.«
Ricardo versuchte sie nicht spüren zu lassen, wie sehr ihn diese bewusst verzerrte Interpretation verletzte. »Nun hast du mir aber noch immer nicht gesagt, was aus der Hochzeit geworden ist.«
»Was wohl? Nachdem das arme geschändete Mädchen zurück in die Stadt kam, wollte ihr Bräutigam nichts mehr von ihr wissen.« Sie sah ihn herausfordernd an.
Ricardo hob eine Augenbraue und erwiderte ihren Blick mit Spott. »Siehst du dich denn so? Als armes geschändetes Mädchen?«
»Nein.«
»Und dein Verlobter hat es auch nicht getan, nicht wahr? Du hast ihn zum Teufel geschickt.«
»Ja.«
Ricardo fand das sehr ermutigend. Und ziemlich komisch. Er grinste, zurückhaltend erst, dann immer breiter. »Du hast die Hochzeit platzen lassen?«, fragte er.
»Drei Wochen vorher. Die Einladungen waren alle schon verschickt.« Marisa kicherte.
»Mein Kleid war praktisch fertig.« Sie lachte etwas beherzter. »Das Menü war bereits zusammengestellt.«
Jetzt konnte sie sich kaum noch halten vor Lachen.
»Die Flitterwochen schon geplant?«
Sie nickte. Tränen traten ihr in die Augen, und sie schniefte. Plötzlich wusste Ricardo nicht mehr, ob sie vor Lachen oder aus Hysterie oder aus Verzweiflung weinen musste. Es machte ihn fertig, Frauen weinen zu sehen.
»Nun sieh mich nicht so mitleidig an. Ich heule nicht, ich lache.«
»War es denn zum Lachen?«
»Eigentlich nicht. Für Sérgio bestimmt nicht – so hieß mein Verlobter. Aber ich bin froh, dass ich die Hochzeit abgeblasen habe. Es wäre nicht gut gegangen mit uns.« Nach einer kurzen Pause und einem Blick in sein nachdenkliches Gesicht fügte sie hinzu: »Du brauchst Sérgio nicht zu bedauern. Er scheint es nicht sehr tragisch genommen zu haben. Ein halbes Jahr später hat er eine andere geehelicht, weitere sechs Monate später kam ihr erstes Kind zur Welt. Inzwischen haben sie drei.«
»Und du? Hast du danach niemanden mehr getroffen, den du heiraten wolltest?«
»Nein. Ich halte nichts von der Ehe. Institutionalisierte Liebe – das ist doch was für Spießer.«
Ricardo sah das inzwischen anders. Er hatte eine unverheiratete Mutter und eine Großmutter, die den größten Teil ihres Lebens getrennt von ihrem Mann verbracht hatte. Er war aufgewachsen bei seiner anderen Großmutter, die früh Witwe geworden war, und bei Octávia und Inácio, deren Beziehung genau jenem Lebensmodell entsprach, das Marisa anscheinend vor Augen hatte, wenn sie die Ehe so verdammte. Aber bei Jack und Elsa hatte er erlebt, wie eine intakte Ehe auch aussehen konnte. Die beiden waren alles andere als Spießer. Er hatte sie um ihre Freundschaft, Liebe, Vertrautheit und gleichberechtigte Partnerschaft beneidet.
»Würdest du nein sagen, wenn ich dich jetzt, hier und auf Knien bitten würde, meine Frau zu werden?«
Marisa verschluckte sich fast an ihrem Wein. »Bitte?!«
»Du hast mich schon verstanden.«
»Und du hast schon einen sitzen.«
Gut möglich, dachte Ricardo. Er trank selten Alkohol. Er war in einer merkwürdig gehobenen, aber auch aufsässigen Stimmung. Eigentlich hatte er Marisa nur provozieren wollen. Frauen wie sie sagten so ein feministisches Zeug daher, aber in Wahrheit wollten sie doch nichts anderes, als dass ein siegreicher Held sie mit großem Brimborium eroberte und zum Altar führte. »Also was ist: Würdest du?«
»Nein sagen?« Sie zuckte mit den Schultern. »Probier es doch aus.«
Ach du liebe Güte, wo hatte er sich da nun wieder hineinmanövriert?
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