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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sie, wie es sich für die Frau eines erfolgreichen Port-Winzers gehörte, auf dem Laufenden war. Wenn ausländische Importeure oder andere Geschäftsfreunde auf der »Quinta das Laranjeiras« zum Essen eingeladen waren, sollte sie sich schließlich am Gespräch beteiligen können und vor den Gästen nicht totale Ignoranz an den Tag legen.
    Jujú ließ die Lehrstunden in Portweinkunde stoisch über sich ergehen. Anfangs hatte sie es noch spannend gefunden, mit welchem Ehrgeiz man sich hier dem Weinbau verschrieben hatte. Im Alentejo gab es zwar auch sehr anständige Weine, und ihr selbst gekelterter »Reserva do Belo Horizonte« hatte allen gut geschmeckt. Doch kein Mensch hatte sich je Gedanken gemacht über die Neigung eines Weinbergs oder gar dessen Höhe. Am Douro hingegen machte man aus jedem Merkmal, das auch nur den geringsten Einfluss auf den Rebstock haben konnte, eine Wissenschaft. Man hatte ein Bewertungssystem eingeführt, das jeden Weinberg mit Punkten benotete. Für eine südliche Ausrichtung gab es mehr Punkte als für eine nördliche; Schieferböden erhielten die höchste Punktzahl, für granitene oder gar Schwemmböden gab es Punkteabzug; Erträge von 600 Litern pro 1000 Rebstöcke galten als optimal, höhere Erträge wurden ebenfalls mit Punkteabzug bestraft. Und so ging es weiter. Die Pflanzdichte, die Erziehungssysteme und sogar der Windschutz flossen in die Gesamtnote mit ein – die wiederum ja nur den Weinberg klassifizierte. Auf der »Quinta das Laranjeiras« gab es ausschließlich Top-Lagen der Klassen A und B, was nicht hieß, dass nicht auch in »F«-Lagen gute Weine gedeihen konnten.
    Die Winzer am Douro bildeten sich sehr viel darauf ein, dass ihre Region das erste DOC -Weinanbaugebiet der Welt war. Seit 1756 war genau festgelegt, innerhalb welcher Grenzen die Trauben angebaut werden mussten, die für die Portweinherstellung verwendet werden durften. Auch kamen nur bestimmte Rebsorten für die Portweinerzeugung in Betracht, etwa
touriga nacional
oder
tinta roriz
für roten Port oder
malvasia fina
für weißen.
    Das eigentliche Mysterium begann jedoch erst nach der Ernte. Das Verschneiden war eine Kunst, die sich Jujú wahrscheinlich nie erschließen würde. Rui und sein Vater hatten sie unzählige Male mit in die Kellereien genommen, die in Vila Nova de Gaia lagen, hatten sie den Most kosten lassen, dessen Gärung durch den Zusatz von Weindestillat gestoppt wurde, hatten ihr die verschiedenen Prozesse erklärt, sie durch die Gewölbe mit den riesigen Eichenfässern geführt und versucht, sie für Portwein zu begeistern. Aber vergebens: Jujú war nach sieben Jahren am Douro zwar durchaus in der Lage, einen minderwertigen Ruby von einem Spitzenvintage zu unterscheiden oder einen alten fassgereiften Colheita von einem jungen Tawny, doch zog sie nach dem Essen stets einen Cognac dem besten Portwein vor. Und zwar immer öfter.
    Jujú hatte die Nase voll von allem, was mit Portwein zu tun hatte. Die spektakulären Hänge entlang des Douro und seiner Nebenflüsse, die sie anfangs für wunderschön gehalten hatte, erschienen ihr jetzt beklemmend. Das kühlere Klima Nordportugals, das sie zu Beginn ihrer Ehe genossen hatte, empfand sie nun als rau und garstig. Die extrem steilen Terrassen, auf denen die Rebstöcke standen und deren Gefälle von zum Teil über fünfunddreißig Grad sie zunächst für hochdramatisch und wildromantisch gehalten hatte, sah sie nun einfach nur noch als beschwerlich an. Sie konnte keine hundert Meter spazieren gehen, ohne sich auf einen mühsamen Ab- oder Aufstieg gefasst zu machen. Ihre Waden waren ja von all dem Gekraxel schon so kräftig wie die einer Bergbäuerin!
    Alles, was Besucher an der Region anzog, stieß Jujú ab. Sie konnte in dem sich rot und gelb färbenden Weinlaub im Herbst beim besten Willen nichts Idyllisches mehr sehen – sie dachte jeden Herbst nur mit Schrecken an den nahenden Winter, der hier oben nasskalt und einsam war und obendrein verantwortlich für das Asthma ihres kleinen Sohnes. Ebenso wenig bezauberten sie die großartigen Herrenhäuser, die verstreut in der Landschaft lagen – sie erinnerten sie nur daran, wie abgelegen ihre eigene Quinta war und was für einen schrecklichen Fehler sie begangen hatte, als sie Rui heiratete. Am allerwenigsten aber konnte sie verstehen, was alle Welt an Porto so anzog. Sie fuhr von Pinhão aus gelegentlich mit dem Zug dorthin, um Einkäufe zu tätigen oder einen Arzt aufzusuchen, doch nie hatte sie der

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