So weit der Wind uns trägt
Stadt auch nur den geringsten Charme abgewinnen können. Dabei, das wusste Jujú nur zu gut, tat sie Porto sicher Unrecht. Aber bei Gott: Allein die Portweinkellereien am gegenüberliegenden Flussufer, die mit ihren riesigen Firmenschildern unübersehbar waren, reichten aus, um bei Jujú den Wunsch aufkommen zu lassen, sofort wieder umzukehren. Auf Laranjeiras konnte sie wenigstens schlafen und für eine Weile die Augen verschließen vor ihrem trostlosen Leben.
»Haben Sie noch einen Wunsch, gnädige Frau?«
Der Kellner stand diensteifrig am Tisch und sah Jujú mit unverhohlener Neugier an.
Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass sie noch tausend Wünsche hatte, von denen weder er noch sonst irgendjemand auf der Welt auch nur einen einzigen erfüllen konnte.
»Nein, danke.« Ungeduldig nestelte sie an ihrer Zigarettendose herum, zog eine der langen Zigaretten heraus und ließ sich von dem Kellner Feuer geben. Sie legte ihre Hand halb um seine, wie um die Flamme vor Wind zu schützen, und ermutigte den Jüngling damit unfreiwillig, ihr einen glühenden Blick zuzuwerfen. Wie kam ein hübscher Kerl wie er dazu, so schamlos mit einer Frau zu flirten, die beinahe doppelt so alt war wie er?
»Sie dürfen sich entfernen, danke.« Jujú sah ostentativ zur Seite, nur um im Wandspiegel einem verletzten Blick des Kellners zu begegnen. Mit einem Ruck drehte er sich um und eilte zum nächsten Tisch.
Laura und Paulo krabbelten noch immer auf dem gefliesten Boden herum, der bestimmt eisig war. Morgen hätten beide Kinder eine dicke Erkältung und wären noch unausstehlicher als in gesundem Zustand. Doch im Augenblick zählte für Jujú nur, dass der Hund ihre Aufmerksamkeit weiterhin gefesselt hielt und sich alle barbarischen Spielideen der beiden gefallen ließ. Sie nickte den Besitzern zu, die ihrerseits froh wirkten, dass ihr Hund so gut beschäftigt war.
Genau so, dachte Jujú verbittert, wie es Rui mit ihr selber ging. Er wirkte geradezu erleichtert, als sie ihm von ihrer geplanten Reise nach Lissabon erzählt hatte, ganz so, als hätte er sich schon lange nach einer Pause von dem lästigen Anhängsel gesehnt. Umso besser, dachte Jujú. Sie hatte zwar mit Paulinhos Asthma und den besseren Ärzten in Lissabon einen glaubhaften Grund für ihre Reise gehabt, wusste aber nicht, ob dieser einer genaueren Nachfrage hätte standhalten können. Gab es nicht auch in Porto kompetente Mediziner? Und wenn sie schon die Spezialisten aufsuchte, warum dann nicht gleich in Paris? Doch Rui hatte nicht weiter nachgefragt, und er hatte sich damit ein weiteres Stück von ihr distanziert. Wenn er ihr gegenüber nicht diese völlige Teilnahmslosigkeit an den Tag gelegt hätte, wenn er ihr wenigstens ein Freund und Gesprächspartner gewesen wäre, hätte sie vielleicht gar nicht erst die unglückselige Obsession entwickelt, die zu dieser Reise geführt hatte.
Je weniger Rui ihr zuhörte, desto mehr fehlten ihr die Gespräche mit Fernando; je öfter Rui Termine vorschob und ihr auswich, desto mehr träumte sie von einer Zweisamkeit, wie sie sie nur in ihrer Jugend erlebt hatte; je freudloser sich der eheliche Liebesakt vollzog – wobei der letzte mindestens zwei Jahre zurücklag –, desto schwerer wog die Erinnerung an Fernandos Zärtlichkeiten; und je seltener Rui sie zurechtwies, sie kritisierte, sie angriff für ihre eigene Schuld am Scheitern ihrer Ehe, desto unbezwingbarer wurde ihr Wunsch, ganz daraus auszubrechen.
In den vergangenen Monaten war sie wie besessen gewesen von dem Drang, Fernando wiederzusehen. Mariana hatte ihr erzählt, dass er in Lissabon lebte und eine glänzende Karriere beim Militär hinlegte. Mehr wusste sie nicht von ihm. Bis vor wenigen Minuten.
Wie konnte man nur so ein Pech haben? Sieben Jahre hatte er sich Zeit gelassen, und dann musste Fernando ausgerechnet zwei Tage bevor sie sich zu einem Wiedersehen durchgerungen hatte, heiraten! Sie hatte es soeben in der Gesellschaftsspalte des
Diário de Notícias
gelesen.
Ein zauberhaftes Paar: Die Braut, Elisabete Abrantes Almeida, älteste Tochter des Abgeordneten Luíz Inácio Almeida dos Passos und seiner Gemahlin Dona Leonor, sowie ihr Angetrauter Fernando Abrantes, Kriegsheld, Flugpionier und Ingenieur, eröffneten am Samstagabend den Tanz ihrer Hochzeitsfeier mit einem Wienerwalzer im Ballsaal des Hotels Avenida Palace.
Was für ein abscheulicher Satz – Jujú hatte ihn dreimal lesen müssen, bevor all die Informationen in ihr Gehirn durchsackten.
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