So weit der Wind uns traegt
Haar. „Wir haben uns heute erst zum zweiten Mal gesehen. Ich werde dir Zeit lassen, mich besser kennenzulernen, damit du dich in meiner Gegenwart wohler fühlst. Einverstanden?“
Evie nickte stumm. Im Moment musste sie nach jedem Strohhalm greifen, um diese heikle Situation zu beenden. Robert hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Ja, sie brauchte Zeit, sehr viel Zeit.
Er umfasste ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Seine hellgrünen Augen glühten vor Entschlossenheit. „Aber ich werde nicht lockerlassen“, verkündete er.
Evie schlief vor Erschöpfung tief und traumlos. Das ferne Brummen eines Fischerbootes weckte sie in der Morgendämmerung auf. Sie blieb noch einen Moment liegen und beobachtete, wie der Himmel langsam hell wurde.
Zwölf Jahre hatte sie sicher in ihrer Festung gelebt. Nun hatte Robert die sorgfältig errichteten Mauern im Sturm erobert und war schon im Innenhof. Nur der Burgfried widerstand ihm noch.
Seit Matts Tod hatte sie keinen Mann mehr beachtet. Robert zwang sie, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Er zog sie sowohl seelisch als auch körperlich an. Sie wollte sich nicht in ihn verlieben, und genau das konnte passieren, wenn sie ihn weiterhin sah.
Und sie würde ihn wieder sehen. Robert gehörte nicht zu jenen männlichen Wesen, die sich leicht von einem Ziel abbringen ließen.
Er würde sie umarmen, sie küssen und streicheln. Und eines Tages würde sie angesichts des eigenen Verlangens alleVorsicht beiseitelassen und ihn nicht mehr aufhalten können – oder es nicht wollen.
Evie schloss die Augen und erinnerte sich, wie Robert sie gestern Nachmittag erst behutsam und dann verzehrend geküsst hatte. Erneut spürte sie seine schlanken Finger auf ihren Brüsten, und die rosigen Spitzen begannen zu pochen. Sie malte sich aus, wie er sie mit seinem Gewicht niederpresste, mit seinen Händen und seinem Mund über ihre nackte Haut strich und mit seinen muskulösen Schenkeln ihre Beine spreizte, um sie in Besitz zu nehmen. So deutlich stand ihr das Bild vor Augen, dass ihr Körper vor Verlangen bebte. Ja, sie begehrte Robert. Und gleichzeitig fürchtete sie den Schmerz, wenn er wieder aus ihrem Leben verschwand.
Eine umsichtige Frau ging in solch einer Lage zum Arzt und ließ sich die Pille verschreiben. Evie war eine umsichtige Frau. Zumindest in dieser Hinsicht konnte sie sich schützen.
6. KAPITEL
Z u ihrer Erleichterung war Robert nicht da, als Evie am späten Vormittag zur Marina kam, um Craig abzulösen. Dunkle Wolken hingen am Himmel, und der Wind frischte auf. Wie häufig im Sommer, kündete sich ein schweres Gewitter an. Die Freizeitsportler und Fischer kehrten an Land zurück. Die nächste Stunde hatte sie keine ruhige Minute.
Blitze zuckten über die Berge, Donner rollte und hallte über das Wasser. Dann brach der Sturm los und peitschte den Regen über den See.
Nachdem alle Boote sicher an ihren Liegeplätzen vertäut waren, kehrte Evie erleichtert in ihr Büro zurück und beobachtete das Unwetter durch die dicke Glasscheibe ihres Fensters. Innerhalb weniger Minuten war die Temperatur um mindestens zehn Grad gesunken.
Endlich legte sich der Sturm, doch es regnete weiter. Die Marina lag verlassen da. Bis sich das Wetter besserte – und danach sah es im Moment nicht aus –, gab es nichts zu tun. Für solche Fälle hatte Evie ein Buch zur Hand und holte es hervor.
Zehn Minuten später war sie so müde, dass sie am liebsten ins Bett gekrochen wäre. Bedauernd legte sie die Lektüre beiseite und schaltete gähnend einen Fernsehsender mit Rockmusikvideos an. Der würde sie hoffentlich wach halten.
Als Robert eine halbe Stunde später hereinkam, stand Evie immer noch vor dem Apparat und blickte fassungslos auf den Bildschirm. „Ich möchte wissen, weshalb diese Musiker mit ihren staksigen Beinen und der eingesunkenen Brust ihren Körper unbedingt der Öffentlichkeit vorführen möchten“, sagte sie nachdenklich.
Robert lachte schallend. Kein Mensch würde auf die Ideekommen, dass Evie eine Spionin ist, dachte er plötzlich. Eigentlich konnte man unmöglich Schlechtes über sie denken. Selbst er, der ihr Treiben kannte, begehrte sie so sehr, dass es ihn ärgerte und ihm unangenehm war, weil er seine Gefühle nicht kontrollieren konnte.
Energisch verdrängte Robert seine Gedanken und ging zu ihr. Wenn er nicht achtgab, wurde er wieder wütend, und die kluge Evie merkte es am Ende noch. Doch sobald er die Arme um sie legte, vergaß er alles um sich
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