So weit der Wind uns traegt
Wahrscheinlich lag es an seiner Persönlichkeit, dass seine Bitte sofort erfüllt wurde.
Es dauerte nicht lange, und Evie fühlte sich rundum wohl. Robert hatte sie in ein sehr hübsches Restaurant in Huntsville geführt. Sie wusste natürlich, dass es nicht an die eleganten Feinschmeckertempel in New York, Paris oder New Orleans heranreichte. Robert machte nicht die geringste Andeutung darüber, dass er Besseres gewöhnt war. Andere ebenso weit gereiste, aber nicht so feinfühlige Männer hätten versucht, sie mit Beschreibungen der erstklassigen Restaurants zu beeindrucken, in denen sie sonst verkehrten. Nicht Robert. Er verglich nicht, er genoss einfach. Wahrscheinlich würde er ebenso zufrieden bei einem Barbecue mit den Fingern essen wie mit einem Silberbesteck von Geschirr mit Goldrand.
Meine Güte, dieser Mann spielt nicht nur mit Babys. Erfühlt sich auch in meiner Welt wie zu Hause, überlegte Evie. Noch etwas, das man einfach lieben musste.
Plötzlich wedelte Robert mit den Fingern vor ihrem Gesicht. „Du beobachtest mich jetzt schon beinahe fünf Minuten und lächelst vor dich hin“, sagte er belustigt. „Eigentlich sollte ich geschmeichelt sein, aber es macht mich langsam verlegen.“
„Dazu hast du keine Veranlassung. Ich musste gerade daran denken, dass du dich hier wohlfühlst, obwohl es bei uns ganz anders ist als in New York.“
„Die meisten Unterschiede finde ich äußerst angenehm, obwohl ich nicht auf diese Hitze vorbereitet war“, gab er zu. „In New York haben wir nicht oft dreißig Grad.“
„Dreißig Grad ist doch nicht heiß!“, wandte Evie ein.
Er lachte und wunderte sich erneut, wie mühelos sie ihn zum Lachen brachte. „Das ist eine Frage des Standpunkts. Für den New Yorker bedeuten dreißig Grad eine große Hitze. Für dich sind sie einfach ein schöner Tag.“
„Nicht unbedingt. Dreißig Grad ist auch für uns ziemlich viel. Verglichen mit den fünfunddreißig Grad oder mehr, auf die das Thermometer auch steigen kann, ist die Temperatur allerdings noch erträglich.“
„Wie ich sagte, es ist eine Frage des Standpunkts.“ Robert trank einen Schluck Wein. „Ich mag New York, weil es so ist, wie es ist. Hier gefällt es mir aus demselben Grund. In New York vibriert die Luft vor Leben. Es gibt Oper, Ballett, Museen, Fremdenhass und Abgase. Hier ist die Luft dagegen rein. Es gibt keine Menschenansammlungen und keine Verkehrsstaus. Niemand scheint es eilig zu haben. Und die Bewohner sind sehr freundlich zu Fremden.“ Er sah sie fest an, und seine Stimme klang etwas tiefer, als er weitersprach. „Obwohl ich ein bisschen enttäuscht bin, dass du von ‚euch‘ und ‚mir‘ sprichst und nie ‚wir‘ sagst.“
Evie unterdrückte ihr Lächeln. „Wieso? ‚Wir‘ ist Plural, und ‚du‘ ist Singular.“
„Aha. Das war mir entfallen.“
„Dass du ein Single bist?“ Sie schwieg erschrocken, denn ihr wurde klar, dass ihre nächste Frage sehr privat sein würde und Robert sich sofort in sein Schneckenhaus zurückziehen könnte. „Warst du schon mal verheiratet?“
Robert trank einen weiteren Schluck Wein und sah sie über den Glasrand an. „Nein“, antwortete er ungerührt. „Auf dem College war ich verlobt. Zum Glück erkannten wir rechtzeitig, dass eine Heirat – vor allem zwischen uns beiden – eine gewaltige Dummheit gewesen wäre.“
„Wie alt bist du?“
„Sechsunddreißig. Und um deinen weiteren Fragen zuvorzukommen: Mein sexuelles Interesse richtet sich ausschließlich auf Frauen. Ich habe nie etwas mit Drogen zu tun gehabt und leide nicht an Kontaktschwierigkeiten. Meine Eltern sind tot, aber ich habe eine Schwester namens Madelyn. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Montana. Außerdem gibt es einige entfernte Vettern und Cousinen. Aber wir haben kaum Kontakt miteinander.“
Evie betrachtete ihn neugierig. Robert war völlig entspannt. Offensichtlich hielt er solche Angaben nicht für besonders aufschlussreich. Für ihn waren es einfach Tatsachen. Trotzdem hörte sie aufmerksam zu, denn diese Mosaiksteinchen bildeten das Gerüst seines Lebens.
„Ein Onkel von mir besitzt eine riesige Farm in der Nähe von Montgomery“, erzählte sie. „Dort findet jedes Jahr im Juni ein Familientreffen statt. Wir hängen nicht wie die Kletten aneinander, aber wir verstehen uns gut. Das Fest gibt uns Gelegenheit, in Verbindung zu bleiben. Ohne diese Treffen hätten meine Nichte und mein Neffe nie ihre Verwandten mütterlicherseits kennengelernt.
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