So weit der Wind uns traegt
Voraus. Sobald sie ins Bett zurückkehrte, würde Robert wieder mit ihr schlafen, und sie würde im Widerstreit zwischen ihrer alten und ihrer neuen Liebe zerbrechen. Sie war auf dem Weg von einem Abschnitt ihres Lebens zu einem anderen, hatte ihre sichere Festung verlassen und sich kopfüber in eine unbekannte Gefahr gestürzt. Damit musste sie erst allein zurechtkommen.
„Ich muss gehen“, wiederholte sie mit tonloser Stimme.
Robert stand auf, und sein nackter Körper zeichnete sich blass in der Dunkelheit ab. „In Ordnung“, sagte er freundlich. „Ich fahre dich heim.“ Verblüfft sah sie zu, wie er das Laken vom Bett zog. Im nächsten Moment hatte er sie fest darin eingehüllt und auf die Arme gehoben. „Aber erst später“, fügte er hinzu. Entschlossen öffnete er die Flügeltüren und trug sie ins Freie hinaus.
Draußen war es so still, als wartete die Natur atemlos auf die ersten Strahlen der Sonne. Nicht einmal die Grillen zirpten. Nur das Wasser war zu hören, das leise ans Ufer schlug.
Robert setzte sich in einen Liegestuhl und zog Evie mit. Er hielt sie fest umschlungen und sprach kein Wort. Regungslos sah er auf das dunkle Wasser, als wartete er ebenfalls aufden Anbruch der Dämmerung.
Evie hielt die Stille nicht mehr aus. Würde Robert reden, könnte sie sich auf ihre Antworten konzentrieren. Jetzt war sie den eigenen Gedanken ausgeliefert und verlor den inneren Kampf.
Hilflos legte sie den Kopf an seinen Hals. Heiße Tränen rannen ihre Wangen hinab, und ihr Körper bebte von ihren Schluchzern.
Robert bedrängte sie nicht, sondern hielt sie nur fester. Seltsam, seine Umarmung war ungeheuer tröstlich. Nachdem sie sich beruhigt hatte, trocknete er mit einem Ende des Lakens ihr Gesicht. Erschöpft und keines Gefühls mehr fähig, blickte Evie mit brennenden Augen auf das Wasser.
Ein Vogel begann, in einem nahen Baum zögernd zu singen. Wie auf ein Signal fielen Hunderte von weiteren ein und begrüßten den neuen Tag.
Roberts nackter Körper war wunderbar warm. Evie spürte seine kräftigen Schenkel und den Griff seiner Arme durch das Laken. Vertrauensvoll legte sie den Kopf an seine muskulöse Schulter und fühlte sich plötzlich sicher und geborgen.
„Ich liebe dich“, sagte sie leise.
Wie viele Frauen hatten das schon zu ihm gesagt, vor allem nach einer Nacht wie dieser? Es konnte nichts Neues für ihn sein. Aber was nützte es, wenn sie es ihm verschwieg?
Zum Glück versicherte Robert ihr nicht, dass er sie ebenfalls liebte. Das wäre gelogen gewesen, und sie hätte ihn dafür gehasst. Stattdessen sah er sie aufmerksam an. „Weshalb dann die Tränen?“, fragte er ruhig.
Evie blickte erneut auf das Wasser. Robert hatte das Recht auf eine Erklärung. Aber sie brachte es nicht fertig, ihr Inneres vor ihm auszubreiten. Selbst wenn sie jahrelang seine Geliebte bliebe, würde sie ihm einige Dinge niemals erzählen. Die Erinnerung daran schmerzte zu sehr.
„Evie …“, drängte Robert sie zärtlich.
Trauer überschattete ihre Augen und legte sich um ihren Mund. Das Gefühl war ihr vertraut, denn sie hatte zwölf Jahre damit gelebt. Weder ihre Freunde noch ihre Familie hatten ihre tiefe Einsamkeit vertreiben können.
Robert wartete auf eine Antwort. Er musste zumindest den Grund für ihre Tränen erfahren.
„Mir ist klar geworden, dass Matt wirklich nicht mehr da ist“, sagte Evie endlich mit belegter Stimme und spürte, dass er sich innerlich straffte.
„Er ist schon lange fort“, antwortete er leise.
„Ja. Aber bis vorige Nacht war ich seine Frau.“
„Nein, das warst du nicht“, stellte er nüchtern fest. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf, damit sie ihn ansehen musste. Inzwischen war es so hell geworden, dass sie das Glitzern in seinen hellgrünen Augen erkannte. „Du hast nie mit ihm geschlafen. Behaupte ja nicht das Gegenteil. Schließlich bin ich kein Dummkopf.“
Evie zuckte innerlich zusammen. „Nein, das bist du nicht“, flüsterte sie. Es war richtig unheimlich, wie schnell Robert zum Kern der Sache gekommen war.
„Du warst mit Matt verheiratet“, fuhr er unbarmherzig fort. „Wie ist es möglich, dass ich trotzdem der erste Mann in deinem Leben war?“
„Ich habe im Juni geheiratet“, sagte sie leise. Eine unendliche Trauer lag in diesen wenigen Worten.
Robert begriff nicht, was sie meinte. Er zog seine dunklen Brauen in die Höhe und sah sie fragend an.
„Der Juni ist ein äußerst begehrter Heiratsmonat. Man muss sich
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