So weit die Hoffnung trägt - Roman
eine Welt ohne Vertrauen geschaffen. Jetzt muss er seine Tage damit verbringen, Angst davor zu haben, dass ihm jemand seine Firma stehlen wird. Die Dinge, diewir anderen antun, werden zu unserer Welt. Für den Dieb ist jeder auf der Welt ein Dieb. Für den Betrüger hat jeder nur im Sinn, ihn zu betrügen.«
»Das ist eine interessante Sichtweise«, sagte ich.
»Und was ist mit Ihnen?«, sagte Leszek. »Sind Sie selbst frei von diesem Mann?«
»Was meinen Sie damit?«
»Haben Sie Ihrem Partner vergeben?«
»Das wird nicht passieren.«
Er sah mich traurig an. »Dann muss ich auch mit Ihnen großes Mitleid haben.«
»Mitleid, weil ich einem Dieb nicht vergeben werde? Um genau zu sein, ist er schlimmer als ein Dieb, er ist ein Verräter. Dante hat gesagt, der Teufel hätte die unterste Ebene der Hölle Männern wie ihm vorbehalten.« Ich lehnte mich zurück. »Nein, ich glaube nicht, dass ich ihm vergeben werde.«
Er blickte zutiefst bestürzt drein. »Aber wie können Sie Ihr Leben leben, wenn Sie es einem Verräter und Dieb gegeben haben?«
»Manche Leute haben es nicht verdient, dass man ihnen vergibt.«
»Doch«, sagte Leszek. »Man muss allen vergeben.«
Ich starrte den alten Mann gebannt an. »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Wollen Sie mir sagen, die Holocaust-Überlebenden sollten Hitler vergeben?«
Der Mann musterte mich auf eine seltsame Art und Weise. Er faltete die Hände vor sich und sagte dann leise: »So ist es.«
»Sie glauben, sogar Hitler hat es verdient, dass man ihm vergibt?«
Leszek sah mich an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Das ist nicht die Frage.«
»Was meinen Sie damit?«
»Hitler zu vergeben, oder seinen wspólnicy …« Er hob einen Finger. »… den Leuten, die ihm geholfen haben, das hat nichts mit Hitler zu tun. Hitler ist ein toter Mann. Glauben Sie etwa, Vergebung wird ihm helfen?«
Ich gab keine Antwort. Natürlich würde es das nicht.
»Mein Freund«, fuhr Leszek fort, »wir ketten uns an das, was wir nicht vergeben. Lassen Sie mich daher Ihre Frage wiederholen. Sollte ein Holocaust-Überlebender sich für immer an Hitler und seine Verbrechen ketten? Oder sollte er vergeben und frei sein?«
»Das ist leichter gesagt als getan«, sagte ich.
»Ja, alles ist leichter gesagt als getan.«
Ich sah auf den Tisch.
»Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Sollten wir vergeben und frei sein?«
Seine Frage machte mich wütend. »Hören Sie, ich bin Ihnen sehr dankbar für alles, was Sie für mich getan haben. Sie sind ein besserer Mann als ich. Aber wenn Sie wissen, wie es ist, wenn einem alles genommen wird, dann können Sie mir von Vergebung und Weiterleben predigen.«
Er nickte langsam. »Es tut mir leid, dass ich Sie aus der Fassung gebracht habe. Nein, mir ist nicht alles genommen worden.« Er sah mich mit zutiefst ernster Miene an. »… aber nur, weil ich nicht bereit war, meine Menschlichkeit aufzugeben.« Er legte einen Arm auf den Tisch und krempelte langsam den linken Ärmel hoch. Im ersten Moment sah ich nicht, was er mir zeigen wollte. Seine Haut war sommersprossig und runzelig, aber dann sah ich die Zahl, die mit blauer Tinte auf seinem Unterarm eintätowiert war. Ich sah ihm in die Augen.
»Ich war vierzehn Jahre alt, als deutsche Soldaten meine Familie abholten und wir in einen Zug nach Sobibor verfrachtet wurden.« Er machte eine kurze Pause. »Sie haben vielleicht von Sobibor gehört?«
Ich schüttelte den Kopf, noch immer etwas verdutzt.
»Nein«, sagte er, »wohl kaum. Lange Zeit wusste niemand von den Sobibor-Lagern. Selbst manche Holocaust-Überlebende haben sie geleugnet. Aber wir, die dort waren, kennen die Wahrheit. Eine viertel Million Menschen sind dort umgekommen. Nur wenige von uns haben überlebt. Ich war einer von ihnen.«
»Wo ist Sobibor?«, fragte ich.
»Sobibor liegt in Ostpolen. Es war das zweite Lager, das von der SS errichtet wurde. Ein Vernichtungslager. Sie ließen nur einige von uns am Leben, um ihnen beim Töten zu helfen.
Die SS war sehr geschickt bei der Führung des Lagers. Sie beschwichtigten die Leute, indem sie ihnen sagten, sie würden in ein Arbeitslager geschickt werden. Das taten sie, damit wir keinen Widerstand leisteten. Sie unternahmen viel, damit die Menschen diesen Trick glaubten. Sie hatten Häftlinge in blauen Uniformen, die am Bahnhof warteten, um die Passagiere zu begrüßen. Als wir aus den Zügen stiegen, wurden wir von lächelnden Gepäckträgern in Empfang genommen.
Mein Vater fiel darauf
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