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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Wagen abzuspringen. Frau Brüggen redete die ganze Zeit kein Wort mit den Kolleginnen.
    »Nun haben Sie sich doch nicht so wegen dieser Ruth Zarski«, sagte Frau Wisnarek. »Die Mädchen werden schon nach Wilhelmsburg durchkommen.«
    Ein Feldgendarm leitete den Treck nach rechts auf eine Nebenstraße. Frau Brüggen bekam gerade noch mit, wie er dem Fahrer zurief, auch auf diesem Weg komme man nach Wilhelmsburg, allerdings sei es über Traisen ein paar Kilometer weiter. Aber auf dieser Umleitungsstrecke sei weniger Verkehr. So könnten sie schneller fahren.
    Die Kinder hatten sich verstört um Frau Brüggen geschart. Als die Lehrerin den ersten Wegweiser Wilhelmsburg 17 km sah, versprach sie den Mädchen: »Euch, meine Kinder, werde ich nie, nie verlassen.«
    Frau Wisnarek sagte ironisch: »Man soll niemals nie sagen. Das weckt nur falsche Erwartungen.«
    Ohne ein Wort bog Dr. Scholten, wie man ihm geraten hatte, von der Landstraße ab. Die Mädchen und Schwester Nora folgten ihm. Bis zu dem Gasthaus brauchten sie mehrere Stunden. Dr. Scholten musste sich eingestehen, dass sie es nicht mehr bis Wilhelmsburg schaffen konnten. Alle waren erschöpft. Selbst Schwester Nora atmete schwer.
    Durch die Fensterritzen des Gasthauses drang trotz der Verdunkelung ein wenig Licht. Die kleine Gaststube war fast leer, nur zwei Tische waren besetzt. An dem einen saßen zwei ältere Soldaten, an dem anderen zwei Männer in Arbeitskleidung. Die Mädchen fanden reichlich Platz. Sie wunderten sich darüber, dass die alte Wirtin nach ihren Wünschen fragte. Nein, ein Bett könne sie ihnen nicht anbieten. Sie habe keine Fremdenzimmer. Aber niemand würde die Flüchtlinge aus dem Haus weisen, wenn sie die Nacht über in der Gaststube bleiben wollten. Ja, zu essen könne sie ihnen noch etwas machen, wenn auch die Küche eigentlich schon geschlossen sei. Eine warme Suppe? Vielleicht Rühreier mit Speck? Eier, weil ja Ostern sei.
    »Sind wir im Schlaraffenland?«, fragte Anna.
    »Nein«, antwortete die Frau. »Aber der Krieg ist abseits der großen Straßen an uns vorbeigezogen.«
    »Ich dachte nicht, dass ich das noch einmal erleben würde«, sagte Dr. Scholten.
    Einer der beiden Soldaten fragte: »Gehört ihr etwa zu den Mädchen aus Maria Quell?«
    »Ja«, antwortete Anna, »woher kennen Sie uns?«
    »Ich kenne euch nicht. Aber wir sind mit unserem Kleinlaster nicht weit hinter einem Lkw mit zwei Anhängern hergefahren. Der letzte hatte wohl auch Mädchen von euch geladen.«
    Dr. Scholten wurde hellhörig. »Wissen Sie mehr darüber?«
    »Nicht viel. Aber dem Lkw haben wir den ganzen verdammten Stau und diesen Umweg zu verdanken.«
    »Wieso?«, fragte Dr. Scholten beklommen.
    Die beiden Soldaten schauten sich an. Der eine, der bisher geschwiegen hatte, nickte dem anderen zu und sagte: »Erzähl schon, was wir wissen, Rudolf. Über kurz oder lang werden sie es doch erfahren.«
    »Also, wie schon gesagt, der Kastenwagen mit den Anhängern fuhr zuerst direkt vor uns. Er war uns schon aufgefallen, weil er die Wagenschlange wiederholt zum Stocken gebracht hatte. Die Hecktür vom letzten Anhänger stand nämlich offen. Die Mädchen drängten sich aneinander, wohl weil sie fürchteten, nach draußen geschleudert zu werden. Plötzlich hielt der Wagen an, der Beifahrer stieg aus und fragte uns: Kameraden, habt ihr nicht ein paar lange Nägel? Ich will die elende Tür zunageln, damit uns die Süßen da drin nicht verloren gehen. Ich hatte in meinem Werkzeugkasten noch ein paar Siebenzollnägel. Damit hat er die Hecktür dann zugenagelt. Acht von den langen Dingern hat er reingehauen. Er brachte uns das Werkzeug zurück und der Wagen fuhr weiter. Unser Lkw sprang nicht gleich an. Einige nutzten die Gelegenheit und überholten uns. Aber dann ging es auch für uns weiter. Der Lkw mit den Mädchen war jetzt ungefähr fünfzig Meter weit vor uns. Die Straße wurde immer schmaler. Wir hatten das Tal fast hinter uns. Links von uns ging es hinunter. Wir konnten den Bach unten sehen. Er war von dem Schmelzwasser etwas angeschwollen. Weiß der Kuckuck, wie es kam. Jedenfalls kam der Anhänger mit den Mädchen ins Schleudern. Nichts Gefährliches, wissen Sie. Aber dann geriet er mit den Hinterrädern in den Schneematsch. Er kam ins Rutschen. Die Anhängerkupplung riss und der Anhänger donnerte den Abhang hinunter und in den Bach hinein. Dort kippte er um. Das Wasser staute sich und stieg allmählich an. Der Lkw-Fahrer und sein Beifahrer, auch wir beide und ein

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