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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Bahnhofshalle.
    Der Zug, der nach dem Fahrplan eigentlich bereitstehen sollte, war jedoch nicht zu sehen.
    »Wir warten noch eine Viertelstunde«, sagte Dr. Scholten. »Wenn die Reichsbahn dann immer noch streikt, bestelle ich ein Taxi.«
    Er zeigte Frau Lötsche den Zettel mit der Telefonnummer, die ihm Herr Neubauer im Rathaus gegeben hatte. »Es ist uns fest versprochen worden, dass wir dann gefahren werden.«
    »Kann man solchen Versprechungen heute noch trauen, Dr. Scholten?«
    »Frau Lötsche, die Welt besteht nicht nur aus Schurken. Warten Sie hier mit Ihrer Gruppe. Ob unser Zug heute überhaupt fährt? Ich werde nachfragen.«
    Am Fahrkartenschalter war eine Tafel aufgestellt. Darauf stand in großen Buchstaben: Züge fahren erst wieder bei Einbruch der Dunkelheit. Ein Witzbold hatte Räder müssen rollen für den Sieg daruntergekritzelt. »Also rufen wir im Rathaus an«, beschloss Dr. Scholten und ging zum Münzfernsprecher.
    »Wie, ich denke, die Sache ist längst erledigt?«, fragte Herr Neubauer. Er redete wieder so leise, dass er fast nicht zu verstehen war.
    »Nein, leider nicht. Ich stehe mit den Mädchen hier in St. Pölten. Heute verkehrt überhaupt kein Zug mehr.«
    »Einen Augenblick«, sagte Herr Neubauer. »Bleiben Sie am Apparat.«
    Zum Glück hatte Dr. Scholten noch einige Münzen. Erst als er die letzte einwerfen musste, meldete sich Herr Neubauer wieder.
    »Alles ist veranlasst. In etwa einer Stunde stehen Sie bitte mit den Schülerinnen auf dem Bahnhofsvorplatz. Inzwischen sollten Sie sich den sehenswerten Dom von St. Pölten anschauen. Wenn Sie durch die Kremser Gasse …« Er stockte. »Na ja, vielleicht steht Ihnen der Sinn nicht danach.«
    Ein merkwürdiger Mensch, dachte Dr. Scholten, aber er konnte sich nicht einmal bedanken. Herr Neubauer hatte aufgelegt.
    »Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, sagte Frau Lötsche, als zur angekündigten Zeit ein Bus vor dem Bahnhof hielt.
    »Sind Sie die Gruppe aus Maria Quell?«, rief der Fahrer.
    Dr. Scholten antwortete: »Das sind wir. Wir müssen nach Pöchlarn.«
    »Na, dann nichts wie einsteigen. Ich muss so schnell wie möglich in Wilhelmsburg zurück sein.« Als er die vielen Kinder sah, zog er die Stirn in Falten. »Aber man hat mir nur von wenigen Kindern erzählt.«
    »Stimmt schon«, sagte Dr. Scholten. »Wir sind wirklich die aus Maria Quell.« Er setzte sich vorn zu Frau Lötsche. Sie mag sein, wie sie will, dachte er, aber auf die Lötsche kann man sich verlassen.
    Der Busfahrer hatte es sehr eilig. Dr. Scholten mahnte ihn: »Bitte, rasen Sie nicht wie bei einem Autorennen. Ein Unfall reicht uns.«
    Kurz vor zwölf hielt der Bus vor dem Bahnhof Pöchlarn. Dr. Scholten bot dem Fahrer fünf Dankeschön-Zigaretten an.
    Er nahm sie, sagte aber: »Ich rauche nicht. Aber fünf Zigaretten, die kann ich gegen eine kleine Flasche Obstler eintauschen. Danke.«
    Die Gruppe hatte den Bahnhof noch nicht betreten, da brauste der Bus schon davon.
    Dr. Scholten schaute sich im Bahnhofsgebäude um. Weder in der Halle noch im Wartesaal fand er Gruppen aus Maria Quell. Er fragte einen Mann in Eisenbahneruniform und mit einer roten Schirmmütze auf dem Kopf: »Haben Sie in den letzten Stunden hier eine Gruppe von Mädchen gesehen? Sie trugen so eine Art Rucksack.«
    »Sehen Sie nicht, was hier los ist? Seit Tagen herrscht Chaos. Wie soll ich wissen, wer hier welchen Rucksack auf dem Rücken hat?« Er schüttelte den Kopf über so viel Unvernunft und eilte weiter.
    Vielleicht ist Frau Brüggen schon nach Maria Taferl aufgebrochen, dachte Dr. Scholten. Er wollte dorthin telefonieren und ging zum Fahrkartenschalter, um einen Geldschein in Münzen wechseln zu lassen.
    »Telefonieren ist zurzeit nicht möglich«, sagte die füllige Frau, die dort saß und strickte. »Die Flüchtlinge haben ungarische Münzen eingeworfen. Das Telefon ist aber nur deutsche Kost gewöhnt und hat seinen Geist aufgegeben.« Sie kratzte sich mit der Stricknadel hinterm Ohr.
    »Es ist ein wichtiges Gespräch. Ich muss unbedingt in Maria Taferl anrufen.«
    »Maria Taferl«, brummte die Frau. »Ich hab im Herbst eine Wallfahrt nach Maria Taferl gemacht. Gelaufen bin ich. Und das bei meinem Gewicht. Aber sie hat mir geholfen, die Maria. Ist’s was wirklich Wichtiges, was Sie dort im Gnadenort wollen?«
    »Und ob. Ich will mit vielen Mädchen dorthin. Wir haben kein Quartier und sollen dort über Nacht bleiben.«
    »Na, Sie haben vielleicht ein Gottvertrauen. Glauben Sie wirklich,

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