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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Schwester zu rennen. Anna riss sich los und lief die Treppe hinunter.
    »Luise!«, rief Frau Brüggen. »Luise, komm mit den Kindern zu uns herüber. Der Zug nach Pöchlarn muss bald einlaufen.«
    Anna und Lydia kamen als Letzte auf den Bahnsteig. Anna hatte ihren Arm um Lydia gelegt. Lydia hinkte.
    Der Zug tauchte in der Ferne auf, blieb aber vor dem Signal stehen, weil er keine Einfahrt hatte. Wenig später jedoch fuhr er ein. Er war voll besetzt, aber trotzdem drängten sich alle in die Waggons. Eine Frau in blauer Uniform gab das Zeichen zur Abfahrt.
    Diesmal hütete Dr. Scholten seinen Koffer wie einen Schatz. In St. Pölten bekam er die Auskunft, dass ein Zug nach Pöchlarn frühestens in einer Stunde abfahre. Er werde auf Gleis 3 bereitgestellt.
    Zeit genug für eine Tasse Kaffee, dachte Dr. Scholten. Er hatte gegenüber vom Bahnhof ein Schild gesehen, Konditorei und Café. Der Himmel war wolkenlos, die Sonne schien und Dr. Scholten setzte sich an den einzigen kleinen Tisch, der vor dem Café aufgestellt war. Die Tür stand weit offen.
    »Was wünschen der Herr?«, schallte eine Stimme heraus.
    »Einen echten Bohnenkaffee mit viel Zucker und Milch«, antwortete er.
    Ein gackerndes Lachen war die Antwort. Wenig später brachte ihm eine kleine alte Frau mit offenbar schwarz gefärbten wuscheligen Haaren eine große Tasse Malzkaffee. Eine Serviette aus grauem Papier legte sie dazu.
    »Sie wollen doch sicher auch einen Apfelstrudel mit Schlagobers?«, fragte sie.
    »Wenn es nicht zu lange dauert?«
    Sie brachte ihm ein kleines Stück festen Kuchen, kassierte und sagte: »Der Mensch kann nur überleben, wenn er das Lachen nicht verlernt. Ist’s nicht so?«
    Er nickte und nippte an seinem heißen Kaffee. Mit Milch und Zucker hatte die Frau nicht gespart. Der Kuchen war knochentrocken. Wenn er ihn jedoch Stückchen für Stückchen in den Kaffee tunkte, schmeckte er überraschend gut. Er genoss es, wenigstens für kurze Zeit in der Sonne zu sitzen und nichts tun zu können. Vielleicht würde er in Pöchlarn wieder mit den Gruppen zusammentreffen.
    Frau Brüggen hatte mit ihrer Gruppe Pöchlarn erreicht. Der Zug hatte nur wenig Verspätung gehabt. Sie wollte sich in dem tristen Wartesaal erkundigen, ob sie für ihre Schülerinnen ein warmes Getränk bekommen könnte, wurde von der Frau hinter der Theke jedoch abgewiesen.
    »Aber die Mädchen haben heute noch nichts im Magen.«
    »Es bleibt dabei: Nein.«
    Als Frau Brüggen zum Ausgang zurückging entdeckte sie an dem Tisch neben der Tür Frau Wisnarek und die beiden anderen Kolleginnen. Sie saßen dort bei einem Bier, frisch frisiert und offensichtlich guter Dinge. Frau Wisnarek begrüßte sie: »Ach, da sind Sie ja, Frau Brüggen. Wir warten schon fast eine Stunde auf Sie.«
    »Wie haben Sie es nur geschafft, vor uns hier zu sein?«
    »Mit einer neuen Frisur und etwas Rouge im Gesicht ist es leicht, einen Wagen anzuhalten.«
    »Wir sind sozusagen erster Klasse gefahren«, ergänzte Frau Hennig. »Ein älterer Major hat uns eingeladen, ihn nach Pöchlarn zu begleiten.«
    »Und er hat keine Gegenleistung von Ihnen verlangt?«
    »Natürlich nicht«, antwortete Frau Wisnarek schnell.
    Frau Weber begann zu kichern. »Na ja«, sagte sie, »wenn man davon absieht, dass er seine Hand auf deinen Oberschenkel gelegt hat.«
    Frau Wisnarek reagierte verärgert. »Es war wirklich nichts dabei. Und überhaupt, wer weiß, wie lange der Herr Major schon keine Frau mehr berührt hat.«
    »Also so eine Art Soldatenbetreuung«, sagte Frau Brüggen ironisch. »Aber jetzt sollten Sie sich wieder der Kinderbetreuung zuwenden. Vielleicht gelingt es Ihnen mit Ihrem Charme ja auch, für unsere Schülerinnen einen Platz hier im Wartesaal oder sonst wo zu ergattern. Wir warten draußen auf Sie.«
    Langsam tranken die Lehrerinnen ihr Bier aus. Frau Wisnarek redete mit der Frau hinter der Theke. Die übergab ihr einen Schlüssel und sagte: »Gleich nebenan. Der kleine Raum ist zwar seit Jahren geschlossen und wird verstaubt sein. Aber immer noch besser, als im Freien zu stehen.« Die Lehrerinnen verließen beschwingt den Wartesaal. Einige junge Soldaten pfiffen ihnen nach.
    In der Gruppe begannen einige zu murren, als die drei Frauen auftauchten. Frau Hennig bemerkte die Mädchen aus Dr. Scholtens Gruppe. »Wie seht ihr denn aus?«, rief sie und ging zu Lydia Mohrmann. Zwischen Daumen und Mittelfinger prüfte sie eine Kragenecke ihrer Felljacke. »Elende Qualität«, sagte sie verächtlich.

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