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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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sechst auf den Weg gemacht. Einer notierte sich die Namen der toten Mädchen. Dann fuhren sie weiter. Ich stand dort wie gelähmt. Unsere Kinder. Mir fiel eine Stelle aus der Bibel ein: Rachel weinte um ihre Kinder. Doch sie sind nicht mehr. Aber ich konnte nicht weinen. Vor dem Bauernhaus wartete Frau Theiß auf mich. Ich nannte ihr leise die Namen der Toten. Die Mädchen, die überlebt hatten, hockten verstört im Haus. Ich sagte zu Frau Theiß, dass die Kinder hier nicht allein bleiben könnten, und bat sie, unsere Gruppe zu übernehmen. Ich würde mich um die Mädchen im Haus kümmern. In Wilhelmsburg oder in St. Pölten würden wir uns wiedertreffen. So nach und nach erfuhr ich Genaueres über den Unfall. Die Mädchen hatten sich in dem Lkw zwischen die Kisten gelegt und geschlafen. Sie schreckten hoch, als der Wagen ins Rutschen kam, den Abhang hinunterpolterte und schließlich umstürzte. Es war stockdunkel in dem Innenraum. Viele haben geschrien und mit den Fäusten gegen die Hecktür geschlagen, aber vergebens. Die Kisten waren durcheinandergeworfen worden. Das Wimmern der Verletzten, das Geschrei der Soldaten, das von draußen hereinschallte! Aber das Allerschlimmste war, dass sie gespürt haben, wie das Wasser immer höher stieg. Da hat eine angefangen zu beten, dann eine zweite, schließlich haben fast alle in das Gebet eingestimmt. Außer dem Beten und dem Gurgeln des Wassers war es im Innern des Wagens ganz still. Sie glaubten, dass die Soldaten aufgegeben hätten, die Tür aufzubrechen. Ein Mädchen hat immer mal wieder gefragt: Bist du noch da, Lydia? Lydia hat lange geantwortet. Aber dann hat sie nichts mehr gesagt. Schließlich ist die Tür aufgehebelt worden. Die Soldaten haben sie in das Bauernhaus gebracht. Später ist Lydia von einem ganz jungen Soldaten ins Bauernhaus getragen worden. Alle waren überrascht, denn sie hatten Lydia Mohrmann für tot gehalten. Der Soldat hat geweint. Lydia hat ihn gefragt, warum er denn heult. Er hat gesagt: Du hättest meine Schwester sein können. Das alles habe ich nur nach und nach von den Mädchen erfahren. Ich bin doppelt froh, dass ich bei diesen Kindern geblieben bin und meine Gruppe der Frau Theiß anvertraut habe.«
    »Ein schreckliches Unglück.« Dr. Scholten stöhnte auf und atmete schwer. »Wie werden die Eltern das aufnehmen?«
    Am nächsten Morgen sah Anna, dass ihre Schwester Mühe hatte, in den Waschraum zu gehen. Erst dachte sie, es läge an den klobigen Soldatenstiefeln.
    Lydia zog ihr rechtes Bein nach und jeder Schritt schien ihr Schmerzen zu bereiten.
    »Hast du dir den Fuß vertreten, Lydia?«
    »Nicht vertreten. Ich bin von einem Wagen geklettert und zwischen Rad und Wagenplanke geraten. Morgens kann ich kaum laufen. Aber die Schmerzen lassen nach, wenn ich ein bisschen gegangen bin.«
    »Lass mich mal sehen, Lydia.«
    Zuerst sträubte sich Lydia, aber als Anna keine Ruhe gab, zog sie ihren Fuß vorsichtig aus dem Soldatenstiefel heraus.
    Anna erschrak. Der Fuß war stark geschwollen, die Haut schimmerte blau und grün. »Damit kannst du unmöglich weiterlaufen, Lydia.«
    »Wollt ihr mich hier in Maria Taferl zurücklassen?«, fragte Lydia mit Tränen in den Augen.
    »Niemand will das. Ich hole Schwester Nora. Die wird wissen, was zu tun ist.«
    Die Schwester brachte ihren Notfallkoffer gleich mit. Sie betastete Lydias Fuß. »Gebrochen ist wohl nichts«, sagte sie. »Aber auftreten solltest du damit heute nicht. Doch du hast Glück. Dr. Scholten hat mir gerade gesagt, dass er noch nicht weiß, wo unser nächstes Ziel ist. Deshalb legen wir hier in Maria Taferl einen Ruhetag ein. Du legst dich nach dem Frühstück erst mal wieder hin. Der Fuß muss gekühlt und hochgelegt werden. Ich streiche gleich eine Heilsalbe drauf und lege einen festen Verband an.«
    »Ihr lasst mich also nicht hier zurück?«
    »Lydia, wir lassen keine von euch zurück, selbst wenn sie ihren Kopf unter dem Arm tragen muss.«
    »Danke, Schwester Nora.«
    »Du, Anna, fragst in der Küche nach, ob du kaltes Wasser bekommen kannst. Jede Stunde kühlst du den Fuß mit einem neuen Umschlag. Am Spätnachmittag erinnere mich bitte daran, dass ich den Verband erneuere.«
    Gegen Mittag brachte Anna eine gute Nachricht mit zu Lydia. Sie machte einen frischen Umschlag und sagte: »Mach dir keine Sorgen wegen morgen, Lydia. Ich habe eben gehört, dass Dr. Scholten der Schwester erzählt hat, wir müssen nicht zu Fuß gehen. Das heißt, nicht ganz. Wir verlassen Maria Taferl

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