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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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nahm eine Handvoll Erde und zerkrümelte sie zwischen den Fingern. »Na, was sagt die Gärtnerstochter zu der Bodenqualität?«
    Auch Anna griff in die Erde. »Schwarz, feinkrumig, locker«, sagte sie. »Gute Blumenerde.«
    »Das denke ich auch. Gute Blumenerde wird für Salatpflanzen nicht schlecht sein. Also werden wir das Beet mit den Mädchen, die Lust dazu haben, umgraben und harken. Ich denke, das können wir in zwei Tagen schaffen. Und dann her mit dem Salatsamen.«
    Im Schlosskeller fanden sie drei Spaten und zwei Harken. Das reichte nicht aus für die Mädchen, die mitarbeiten wollten, und so kamen sie überein, in drei Schichten zu arbeiten. Jede Gruppe wurde nach zwei Stunden abgelöst.
    Frau Brüggen achtete darauf, dass die Spaten tief genug in den Boden gestoßen wurden. Sie kamen gut voran und bald glänzten schwarze, feuchte Erdschollen in der Sonne. Hinter den Mädchen suchten Dohlen in der aufgeworfenen Erde nach Würmern. Sie verloren nicht ihre Scheu und flatterten auf, wenn ihnen ein Mädchen zu nahe kam.
    »Blaue Augen«, sagte Ruth nachdenklich.
    »Was?«, fragte Frau Brüggen irritiert.
    »Ich wusste gar nicht, dass Dohlen blaue Augen haben.«
    »Vögel mit blauen Augen?« Frau Brüggen schaute zu den Dohlen hinüber. »Tatsächlich. Ein strahlendes Hellblau. Und so schwarz, wie man es von Rabenvögeln sagt, sind sie auch nicht. Dieser schöne graue Kragen um den Hals.«
    »Und die Federn glänzen und schimmern an manchen Stellen grün«, schwärmte Ruth.
    »Pass auf, dass du dich nicht in eine Dohle verliebst«, spottete Anna.
    »Die heißen weder Albert noch Friedrich«, erwiderte Ruth bissig.
    Anna stutzte. Friedrich? Ruth meint doch nicht etwa den Gärtner? Den Mann mit nur einem Arm? Was für ein Unsinn!
    Aber bei dem Namen Friedrich fiel Anna ein, dass sie sich allmählich um den Samen kümmern musste, wenn die ganze Arbeit an dem Beet nicht umsonst sein sollte. Sie meldete sich bei Frau Brüggen ab und ging durch den Ort zur Gärtnerei. Im Gewächshaus entdeckte sie die ersten grünen Salatblättchen.
    Friedrich hatte Anna kommen sehen und stand in der Tür der Pflanzstube. Er hatte sich rasiert und kam Anna jünger vor als vor zwei Tagen. Der Riss in seiner Jacke war sauber vernäht. »Na«, sagte er, »ich hab schon gedacht, du kommst nicht mehr.«
    »Sie wollten mir Samen verkaufen.«
    »Ich finde es merkwürdig, dass ich Du zu dir sage und du bei deinem Sie bleibst. Sag ruhig auch Du zu mir. Aber komm erst mal rein. Ich mache mir gerade einen Tee. Echten schwarzen Tee mit Zucker. Trinkst du eine Tasse mit mir?«
    »Tee mit Zucker. Hab ich schon ewig nicht mehr getrunken«, sagte Anna und nickte.
    Das Wasser kochte in einem zerbeulten Kessel. Eine dickbauchige braune Kanne und zwei Tassen standen bereit. Als hätte Friedrich auf Anna gewartet.
    Während Friedrich den Tee zubereitete, setzte Anna sich in einen der beiden alten Korbsessel. Er goss den Tee ein, gab ihr eine Tüte mit Zucker und setzte sich zu ihr. Die Sessel standen dicht beieinander.
    »Wie teuer ist dein Salatsamen überhaupt?«, fragte sie.
    »Ich überleg es mir noch. Geld will ich eigentlich nicht. Du hättest gern den Samen von mir. Du musst mir dafür geben, was ich gern von dir hätte.«
    »Und was ist das? Wir haben auf der Flucht fast alles verloren. Ich könnte dir höchstens eine Silberkette mit einem kleinen Korallenanhänger anbieten. Die hab ich zu meinem zehnten Geburtstag von meiner Oma geschenkt bekommen.«
    »Zeig mal her.«
    »Das geht jetzt nicht«, sagte sie und wurde rot. Sie hatte die Kette in ihr Leibchen eingenäht. »Morgen. Morgen kann ich sie dir zeigen.«
    »Eigentlich will ich so etwas gar nicht.«
    Er stand auf und ging zu dem Sack, in dem er den Salatsamen aufbewahrte. Dann schöpfte er eine Blechtasse voll heraus, nahm eine Tüte und schüttete die grauweißen Samenplättchen hinein. »Damit kommst du bestimmt hin«, sagte er. »Ich gebe dir den Samen, wenn …« Er zögerte verlegen. Dann atmete er tief und fuhr fort: »Du kannst ihn mitnehmen, wenn du mir erlaubst, einmal mit meiner Hand über deinen Arm zu streichen.«
    Anna schaute ihn überrascht an. »Über meinen Arm?« Wollte er sich lustig machen über sie?
    »Genau. Vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen. Ich möchte spüren, wie sich deine Haut anfühlt.«
    »Du spinnst«, sagte sie.
    »Vielleicht. Aber ich habe lange keine Frau mehr gestreichelt.«
    Sie stand hastig auf. Den Tee hatte sie noch nicht

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