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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Mensch kann mir sagen, was mit ihnen passiert ist. Kann sein, dass meine Schwester aus Angst vor den Russen nach Bad Orb zu ihren Schwiegereltern geflohen ist. Über vier Jahre war ich weg. Nur zweimal bin ich kurz auf Urlaub hier gewesen. Und meine Mutter? Wir haben Verwandte in der Gegend von Lindau. Vielleicht ist sie dort? Ich bin seit vierzehn Tagen hier. Ihr seht ja, was mit unserer Gärtnerei los ist.«
    »Haben Sie selbst die Scheiben wieder eingesetzt?«, fragte Anna.
    »Ja. Mirzek, ein polnischer Arbeiter, hat mir geholfen. Mit einem Arm hätte ich das nicht allein schaffen können. Seit gestern ist Mirzek auch weg. Aber ihr fragt mich ja ganz schön aus. Wer seid denn ihr?«
    »Wir sind mit unserer Schule auf dem Weg nach Haus ins Ruhrgebiet. Jetzt sind wir in Theresienruh untergekommen«, sagte Ruth. »Wollen Sie die Gärtnerei wieder aufbauen?«
    »Ich warte erst mal, bis dieser verdammte Krieg zu Ende ist. Kann nicht mehr lange dauern. Eigentlich sollte ich mich hier auf dem Amt, beim Obermayr, melden.«
    »Wir haben nur schlechte Erfahrungen mit dem Ortsgruppenleiter gemacht«, sagte Anna. »Wir sind mitten in der Nacht angekommen, aber er wollte uns nicht ins Schloss lassen. Dabei war uns das in Linz zugesagt worden.«
    »Ich kenne ihn. Deshalb habe ich mich ja noch nicht bei ihm gemeldet. Der Obermayr ist hier auch Führer des Volkssturms. Der würde mich bestimmt als Volkssturmmann einsetzen. Dem traue ich zu, dass er sagt, auch mit einem Arm kann man für den Endsieg kämpfen.«
    »Und was machen Sie jetzt?«, fragte Ruth neugierig.
    »Habt ihr das nicht gesehen? Ich habe die paar heilen Scheiben zusammengesucht und wieder eingesetzt. Hier in der Pflanzstube gab es noch ein Säckchen mit Salatsamen. Davon habe ich eine Handvoll ausgesät. Wenn alles gut geht, kann ich die Pflanzen bald ins Freie umsetzen.«
    »Wir müssen zum Schloss zurück«, sagte Anna. »Salatsamen und Pflanzen könnten wir vielleicht auch gebrauchen. Wer weiß, wie lange wir noch hierbleiben müssen.«
    »Darüber lässt sich reden. Wenn ihr allerdings herumtratscht, dass ich hier untergekrochen bin, dann wird nichts daraus.«
    »Werden wir aber nicht. Versprochen«, sagte Anna.
    Auf dem Rückweg fing Anna an, sich auszumalen, wie es sein würde, wenn sie hinter dem Schloss das lange Beet, das bis in den Park hineinreichte, umgraben würden, um dort Salat anzupflanzen.
    »Tausend Salatköpfe oder mehr«, schwärmte sie. »Das wäre ein Fest für unsere Küche. Angemachten Salat, frische Salatblätter zum Brot, Salat als Gemüse. Lauter Vitamine.«
    »Und zum Tauschen«, sagte Ruth.
    »Zum Tauschen?«
    »Wir könnten die Köpfe an den Haustüren anbieten und dafür andere Lebensmittel verlangen.«
    »Mensch, Ruth, bist du geschäftstüchtig! Wir werden dich zu Hause in unserem Laden sofort einstellen.«
    »Ich glaube, meine Tante hatte früher einen Schrebergarten. Die können wir in unsere Pläne einweihen.«
    »Das versuchen wir. Aber kein Sterbenswörtchen über Friedrich, Ruth, hörst du.«
    »Brauchst du mir nicht zu sagen.«
    Am Abend war Dr. Scholten aus der Kreisstadt zurück in Theresienruh. Er war von einer Dienststelle zur anderen gelaufen, aber es hatte sich gelohnt. Im Ernährungsamt hatte man zugesagt, eine größere Menge Kartoffeln zu liefern und eine Bäckerei am Ort zu beauftragen, für Brot zu sorgen. Vielleicht werde sogar Fleisch ins Haus kommen.
    Es blieb jedoch unklar, wann sie mit den Lebensmitteln rechnen könnten. Trotzdem wollte Dr. Scholten das Betteln der Schülerinnen vorerst noch aufschieben.
    Am nächsten Morgen schauten sich Anna und Ruth hinter dem Schloss nach einem geeigneten Platz für ein großes Salatbeet um. Der etwa zweieinhalb Meter breite Streifen Erde, der sich von der Terrasse bis weit in den Park hineinzog, war in besseren Zeiten einmal eine Blumenrabatte gewesen. Er schien für ein Gemüsebeet gut geeignet zu sein. Anna bat Frau Brüggen, sich den Streifen Land anzusehen.
    »Wollt ihr Tulpenzwiebeln setzen?« Es klang ein wenig spöttisch.
    »Nicht Tulpenzwiebeln.« Anna tat geheimnisvoll. »Aber wir können vielleicht an Salatpflanzen oder zumindest an Samen kommen. Salat ist gesund.«
    Frau Brüggen überlegte. Selbst wenn wir die Rückreise antreten können, bevor der Salat gut ist, haben einige Mädchen bis dahin eine sinnvolle Beschäftigung. Diese Herumsitzerei und zu warten, zu warten, zu warten und nicht genau zu wissen, worauf eigentlich, das macht uns alle verrückt.
    Sie

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