So weit die Wolken ziehen
ausgetrunken.
»Überleg es dir gut«, sagte er. »Du bekommst dieses Tütchen nur, wenn du tust, was ich von dir verlange.«
Was soll ich machen?, dachte Anna. Im Schloss werden sie mich auslachen, wenn ich mit leeren Händen zurückkomme. Wahrscheinlich werden sie mich beschimpfen, weil die ganze Arbeit für die Katz ist. »Nur vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen?«, vergewisserte sie sich.
Er lächelte verkrampft und nickte.
Mit einer heftigen Bewegung streifte sie den Ärmel ihrer braunen Samtweste hoch. Ich werde ihn ohrfeigen, wenn er zudringlich wird, nahm sie sich vor. Aber er legte ihre Hand auf den Pflanztisch und fuhr dann ganz langsam und zart mit seiner rauen Handfläche von ihrem Ellbogen den Arm abwärts. Die Härchen auf ihrem Arm sträubten sich unter seiner Berührung. Einen Augenblick lang ließ er seine Hand auf der ihren liegen. Schließlich zog sie ihre Hand weg und schob den Ärmel wieder herunter.
Er griff nach dem Tütchen, gab es ihr und sagte: »Ich danke dir, Anna.« Dann wandte er sich schnell ab und begann, die Teekanne auszuspülen.
Sie war so verwirrt, dass sie sogar vergaß, Auf Wiedersehen zu sagen.
»Das werde ich nie, nie erzählen«, sagte sie zu sich, als sie auf dem Weg zurück war, und fügte verärgert hinzu: »Glaubt mir sowieso keiner.«
Am Donnerstag trafen die zugesagten Lebensmittel ein: Kartoffeln, Zucker, Fett und Mehl. Sogar dreißig Kilogramm Fleisch wurden geliefert.
»Endlich wieder ein richtiges Mittagessen«, sagte Lydia. Aber die Hoffnungen darauf zerplatzten, als die Mädchen sich an der Durchreiche die Teller füllen ließen. Ein kleisterartiger Kartoffelbrei, ein Löffel Soße mit wenigen Bröckchen Gulasch, das war alles, was die Küche zustande gebracht hatte. Auch diesmal gab es keinen Nachschlag.
Dr. Scholten ging nach dem Essen in die Küche und beschwerte sich bei Frau Egger.
»Wenn Sie meinen, Sie finden jemanden, der es besser kann, bitte schön. Ich räume diese Küche jederzeit mit Freuden.« Mehr sagte Frau Egger dazu nicht und ließ Dr. Scholten einfach stehen.
Er setzte sich mit den Lehrerinnen zusammen.
»Frau Egger und die Küchenmädchen sind, wie ich gehört habe, von dem Ortsgruppenleiter Obermayr für das Schloss dienstverpflichtet worden«, sagte er. »Was der mit einer Beschwerde machen würde, das kann man sich an wenigen Fingern abzählen. Mir scheint, die haben von einer Großküche keine Ahnung.«
»Am meisten vermissen wir alle, dass es kein Gemüse gibt. Aber unsere Plantage braucht wenigstens noch zwanzig Tage, bis wir den ersten Pflücksalat ernten können«, sagte Frau Brüggen. »Meine Eltern haben mal in Duisburg-Beeck gewohnt. Die Hausbesitzer lebten sehr naturbewusst. Die beiden Mädchen sind jedes Jahr im Frühjahr losgezogen und haben Wildgemüse gesammelt. Manchmal haben sie Handschuhe angezogen und Brennnesselspitzen geschnitten. Ihre Mutter hat versichert, wenn die Nesseln gekocht und klein gehackt sind, würden sie ungefähr wie Spinat schmecken. Und Salat aus jungen Löwenzahnblättern hat es gegeben. Besonders hinter Sauerampfer seien die Mädchen her gewesen. Das alles sollen richtige Delikatessen sein.«
»Hört sich nicht schlecht an«, sagte Frau Krase.
»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Frau Brüggen. »Wir ziehen morgen früh mit einigen Mädchen los. Die Kräuter kenne ich. Mehr als schiefgehen kann es ja nicht.«
Schon um zehn Uhr am Morgen trugen die Mädchen überquellende Körbe in die Küche. Sauerampfer hatten sie allerdings nicht gefunden. Frau Egger schaute verächtlich auf das »Ziegenfutter« und sagte: »Das rührt keine von uns an. Wenn ihr das Unkraut wirklich essen wollt, dann bereitet es selber zu.«
Unter der Leitung von Frau Krase und Frau Brüggen ging eine Kochgruppe an die Arbeit. Enttäuscht beobachteten die Köchinnen allerdings, wie die Brennnesselspitzen zusammenfielen, als sie abgekocht wurden. Frau Krase schmeckte ab, würzte den Nesselspinat mit Salz und Muskat und ließ alle probieren.
»Lecker«, lautete das einhellige Urteil.
»Und brennt kein bisschen«, rief Ruth.
Der Löwenzahnsalat war zwar herb, aber auch er schmeckte den Mädchen. Beim Mittagstisch weigerten sich nur wenige, davon zu essen. Den anderen war es recht, weil es diesmal einen Nachschlag gab.
Nun gingen Sammlerinnen immer öfter frühmorgens los und an kaum einem Tag fehlte das Frühjahrsgemüse.
Anna, Ruth und Irmgard pflegten das große Salatbeet, hackten immer wieder den Boden,
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