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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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beiden Söhne zurück, die ihr Reichsdeutschen in den Krieg gejagt habt!« In einem anderen Haus war ihnen gesagt worden, der Pfarrer hätte gut reden. Im Pfarrhaus herrsche schließlich kein Mangel. Man könnte ihnen nur etwas zustecken, wenn sie Sachen zum Tauschen anzubieten hätten. »Wir haben doch nur noch das, was wir auf dem Leib tragen«, hatte Erika Marvink eingewandt. Ein Achselzucken war die Antwort. »Umsonst ist nur der Tod«, hatte eine Frau ihnen geantwortet.
    »Wir können einfach nicht betteln«, sagte ein Mädchen aus der dritten Gruppe. »Lieber hungern wir, als unter die Bettler zu gehen.«
    Die nächste Gruppe, die ins Schloss kam, hatte zwar auch nichts in ihrem Korb, aber sie war von einer Frau in die Küche gerufen worden. Von einem großen Brot hatte sie für jedes Mädchen zwei Scheiben abgeschnitten, mit Butter bestrichen und so reichlich Schinken daraufgelegt, dass er über die Kruste hinausreichte. Auch einen Becher Milch gab es dazu. Die Frau ließ sich von der Flucht der Kinder erzählen. Als sie sah, dass die Mädchen sogar die Krumen mit dem Finger auftupften und in den Mund steckten, sagte sie: »Heute ist Montag. Solange im Schloss Schmalhans Küchenmeister ist, dürft ihr montags und donnerstags zu mir kommen. Ich werde euch dann nicht hungrig wegschicken.« Die Kinder bedankten sich herzlich.
    Auch die anderen Gruppen hatten keine großen Mengen eingeheimst, aber es gab insgesamt dreißig Eier, ein paar Kilo Mehl, mehrere Kanten Brot, getrocknete Erbsen, einige Stücke Speck und sieben Kilo Kartoffeln.
    Vier Tage hintereinander zogen die Mädchen los. Die größeren suchten auch abgelegenere Höfe auf. Sie verloren immer mehr die Scheu zu betteln. Anna, Lydia und Irmgard waren auf den Gedanken gekommen, sich auf die Melodie von Kommt ein Vogel geflogen ein Bettellied auszudenken. Es hieß:
    »Lasst euch bitten, ihr Leute, teilt mit uns euer Brot, so ergeht es uns heute, leiden Hunger und Not.«
    Wenn sie diese Strophe sangen, verschlossen sich oft die Gesichter. Aber bei der zweiten Strophe wurden doch einige nachdenklich.
    »Müssen betteln gehn heute, doch was trifft vielleicht ein? Könntet ihr nicht, ihr Leute, morgen selbst hungrig sein?«
    Wenn ihnen etwas in den Korb gelegt wurde, bedankten sie sich und sangen:
    »Unsern Dank wolln wir sagen, auch ein laut Vergelt’s Gott. Dass ihr nie müsst ertragen Sorgen, Hunger und Not.«
    Doch wirkungsvoller war die unerwartete Hilfe von ganz anderer Seite. Die Salatköpfe waren groß und gut geraten. Seit Tagen bereicherte der Salat den Speiseplan der Mädchen. Schon zum Frühstück wurden die Brotscheiben mit ein paar Salatblättern garniert, Salat als Mittagsgemüse, auf die übliche Weise angemacht, aber manchmal auch gekocht. Salat als Beilage am Abend.
    Als selbst das nicht genügte, um die reiche Ernte aufzubrauchen, schlug Frau Hennig vor: »Ich denke, unser Salat könnte das Betteln überflüssig machen. Die Mädchen könnten frischen Salat als Tauschgut gegen andere Nahrungsmittel anbieten.«
    Tatsächlich waren die schönen, festen Salatköpfe bald im ganzen Ort begehrt. Ab und zu kam es sogar vor, dass Frauen im Schloss vorsprachen und Rauchwurst oder sogar Butter anboten, wenn sie dafür Salat bekämen.
    Die junge Ungarin war wenige Tage nach der Geburt ihres Sohns Stepan wieder aufgestanden. Sie bat Schwester Nora, nach ihren Landsleuten suchen zu lassen. »Sie wollten sich im Wald verstecken, bis die Befreier, die Amerikaner, da sind. Ich muss zu ihnen zurück.«
    Schwester Nora machte sich selbst auf den Weg. Am Waldrand begegnete sie einer Holzsammlerin. »Haben Sie die Ungarn, die Flüchtlinge, gesehen? Die wollten sich hier im Wald verstecken.«
    »Sind vorgestern alle weg. Sollen in ein Sammellager gebracht worden sein«, antwortete die Frau. »Werden zurückgeführt nach Ungarn, hab ich gehört.«
    »Wissen Sie, wo das Lager ist?«
    »Es wird gesagt, alle sind mit der Fähre auf die andere Donauseite gebracht worden. Aber ob’s stimmt?«
    »Danke«, sagte Schwester Nora.
    Dr. Scholten erwartete die Schwester schon vor dem Portal. »Ich habe mich gesorgt, Nora. Du solltest mir sagen, wenn du das Haus verlässt. Für morgen ist eine Kommission der Militärverwaltung angekündigt worden. Das Schloss soll inspiziert werden.«
    »Was machen wir nur mit der Ungarin und ihrem Kind? Ein Sammellager ist für den Kleinen sicher kein guter Ort. Ich werde mit Katalin reden. Hoffentlich dreht sie nicht durch und will zu den

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