So weit die Wolken ziehen
anderen.«
Aber Katalin nahm die Nachricht gelassener auf, als die Schwester erwartet hatte. »Bleibe hier. Kann in Küche helfen«, sagte sie.
»Für den Jungen ist das auf jeden Fall besser. Er ist noch so klein«, stimmte die Schwester zu.
»Kommission wird kommen?«, fragte Katalin.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir werden den Männern nicht auf die Nase binden, dass du zu den Ungarn gehörst.«
Katalin zeigte auf eine Urkunde an der Wand, auf der ein großes Hakenkreuz zu sehen war. »Und was ist damit?«, fragte sie. »Wird den Amerikanern nicht gefallen.«
»Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«, sagte Schwester Nora und sprach mit Dr. Scholten. Der rief die Lehrerinnen sofort zu einer kurzen Besprechung zusammen.
»Wir müssen die Hitlerembleme beseitigen«, sagte er. »Sonst wird es Probleme mit den Besatzungstruppen geben.«
»Am besten ein Scheiterhaufen«, sagte Frau Wisnarek sarkastisch.
Die Ungarin, die sich dazugesetzt hatte, sagte: »Nein, nein. Fahnen nicht verbrennen. Verstecken. Schöner roter Stoff für Röcke.«
»Nähen müsste man können«, sagte Frau Krase.
»Ich kann«, behauptete Katalin.
»Die Mädchen sollen als Erstes die Abzeichen von den Kletterwesten abtrennen«, sagte Frau Brüggen. »Und dann müssen die Urkunden mit den aufgeprägten Hakenkreuzen verbrannt werden …«
». . . und wir müssen die Illustrationen in den Schulbüchern durchforsten«, ergänzte Frau Krase. »In den Geschichtsbüchern ist ein großes Hitlerfoto gleich auf der ersten Seite.«
»Am besten die Geschichtsbücher gleich ganz wegschaffen«, sagte Frau Wisnarek. »Die Sieger haben noch nie die Geschichte der Besiegten geduldet.«
»Das stimmt«, bestätigte Dr. Scholten. »Also ans Werk. Hinten im Park ist ein Platz zum Feuermachen. Am Nachmittag muss alles zusammengetragen sein. Gestern noch unser Stolz, heute schon der Schrott der Geschichte.«
Es kam viel mehr zusammen, als Dr. Scholten erwartet hatte. »Mir ist früher nie bewusst gewesen, wie die Symbole, die Sprüche, die Bilder und die Zeichen uns begleitet haben«, sagte er.
Die Mädchen standen in weitem Rund um das Feuer. Wie viele Erinnerungen waren mit all dem verbunden, was nun verbrannte? Die Siegerurkunden, die sie bei Sportwettkämpfen erhalten hatten, die Urkunden gewonnener Singwettstreite, die Spruchkarten, die Fotos …
Das Lied Flamme, empor klang leise auf, allerdings nur gesummt, weil ihnen die Zeile Führ uns zum Heil in dir mit einem Mal unpassend schien.
Die Kommission fand am nächsten Morgen nichts auszusetzen. Über die Stelle an der Wand des Speisesaals, an der ein großes Hakenkreuz gehangen hatte, dessen Umrisse sich auf der Tapete deutlich abzeichneten, sah der Captain schmunzelnd hinweg.
Ruth bemerkte einen Soldaten, der im Park in dem Aschehaufen stocherte. Sie ging näher. Er hob ein rautenförmiges Abzeichen der Hitlerjugend auf, zeigte es Ruth und sagte auf Deutsch: »Hast du noch andere solche Sachen? Ich gebe dir Kaugummis dafür.«
Ruth schüttelte den Kopf.
»Warst du auch eine Nazischickse?«, fragte er.
Ruth begann, sich vor ihm zu fürchten. Sie nestelte nach dem Judenstern in ihrer Tasche und zeigte ihn.
Er nahm ihn in die Hand und las. »Fünf Päckchen Kaugummi«, sagte er schließlich.
Sie schaute ihn an.
»Und drei Tafeln Schokolade.«
Ruth riss ihm den Stern aus der Hand. »So etwas darf man nicht verkaufen«, sagte sie leise. »Es ist ein Andenken an meine Freundin.«
Er ließ ihr den Stern. Trotzdem schenkte er ihr ein Päckchen Kaugummi und sagte: »Hast recht, kleines Fräulein. Die wichtigsten Dinge im Leben kann man nicht kaufen. Und verkaufen darf man sie auch nicht.«
Immer noch wurden täglich zwei Stunden Unterricht erteilt. Als auch das von der amerikanischen Verwaltung verboten wurde, hatten die Mädchen viel freie Zeit und langweilten sich. Dr. Scholten bemühte sich vergebens, das Unterrichtsverbot aufheben zu lassen. Ein Offizier verwies ihn auf die Schulbücher, die bis in die Naturwissenschaften hinein, wie er sagte, »naziverseucht« seien. Als Beleg legte er ihm ein Biologiebuch vor, in dem die Rassenkunde und die angebliche Überlegenheit der nordisch-germanischen Rasse breiten Raum einnahm.
Dr. Scholten versuchte, zumindest in politisch unverdächtigen Bereichen tätig zu werden. Er übte mit einer kleinen Gruppe Choräle für den Gottesdienst ein, und seitdem im Schloss Blockflöten und zwei Gitarren gefunden worden waren, gab es auch
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