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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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heißen. Deine Mutter ist ganz wild geworden und hat ihn angeschrien: Roter Oktober! Sie hatte Angst, dass er ins Gefängnis muss, weil das ein kommunistischer Name ist. Die Tulpe war wirklich wunderschön. Dein Vater hatte viele Jahre daran herumgetüftelt und mehr als dreitausend Tulpenzwiebeln gezogen. Deine Mutter hat Georg in den Arm genommen und geweint. Wer kauft uns hier in der Gegend so viele Tulpen ab, Georg, selbst wenn sie so schön sind wie die Königin von Saba? Doch das wusste dein Vater auch. Er wollte sie gar nicht in Oberhausen verkaufen. Die neue Züchtung sollte auf der großen Gartenbauausstellung in Essen in der Gruga gezeigt werden. Er hat einige Tulpen zum Blühen gebracht und sie der Kommission vorgestellt, die darüber entscheidet, wer in Essen ausstellen darf. Wie soll die Tulpe heißen?, fragte dort der Vorsitzende. Deinem Vater lag schon Roter Oktober auf der Zunge.Aber dann ist ihm eingefallen, was deine Mutter dazu gesagt hatte. Sie soll Königin von Saba heißen, hat er gesagt. Einer hat eingewendet, diese Königin, das sei doch eine Jüdin gewesen. Aber da war zum Glück auch ein Studierter in der Kommission. Der wusste, dass die Königin von Saba in Saba Königin gewesen ist. Das sei ein ganz anderes Land und keineswegs das Judenland. Eine Schönheit sei diese Frau gewesen. Und lachsrote Haare soll sie gehabt haben, hat dein Vater gesagt. Die Herren haben sich die Tulpe eingehend angesehen und die Züchtung bestaunt. Sie händigten deinem Vater einen Anmeldeantrag mit vielen Fragen aus. Eine davon lautete, ob er Mitglied in der NSDAP sei oder einer anderen nationalen Organisation angehöre. Er konnte nur das Kästchen ja oder nein ankreuzen. Er hat sein Kreuzchen in nein gemacht. Die folgenden Fragen entfielen, in denen er Einzelheiten zu seiner Mitgliedschaft angeben sollte.Nun musst du wissen, dein Vater hat sich immer aus der Politik rausgehalten. Er meinte, nur dann könnten die Geschäfte gut gehen. Dein Opa war nämlich früher im Zentrum Mitglied und hat sich für die Partei sehr eingesetzt. Das wussten alle hier in Klosterhardt. Und weil viele im Ort die Kommunisten oder die Sozis wählten, haben sie unseren Laden gemieden. Nun wohnte in unserer Nachbarschaft ein Mann, der in der NSDAP eine gewisse Rolle spielte. Der hat uns einen Besuch abgestattet und Georg eingeweiht, dass niemand als Aussteller berücksichtigt werde, der nicht Parteimitglied sei. Er legte deinem Vater einen neuen Anmeldebogen auf den Tisch und einen Aufnahmeantrag für die NSDAP dazu. Das darf ich eigentlich gar nicht, sagte er . Ich mache das nur aus alter Bekanntschaft. Nun musst du dich entscheiden, Mohrmann . Dann ging er . Es hing aber von der Gartenschau ab, ob es mit unserem Betrieb wieder aufwärtsgehen würde oder ob wir in die Pleite segelten. Drei Tage ist dein Vater rumgelaufen wie Falschgeld. Dann hat er den Aufnahmeantrag für die NSDAP unterschrieben. Die Ausstellung ist dann ein voller Erfolg für uns geworden. Unser Betrieb hat eine goldene Plakette bekommen. Über hundert Bestellungen für unsere Tulpenzwiebeln sind schon in den ersten Tagen von Gärtnern aus ganz Deutschland gekommen. Viele wollten die neue Tulpenzüchtung für teures Geld kaufen. Wir jedenfalls waren aus unseren geschäftlichen Sorgen heraus. Dein Vater hat die Partei von da an mit ganz anderen Augen gesehen. Nicht nur bei mir geht es voran, hat er gesagt. Hitler bringt unser Deutschland wieder hoch. Dein Opa hat, kurz bevor er gestorben ist, zu mir gesagt: Hoffentlich, Lydia, hat Georg nicht seine Seele verkauft.«
    »Wieso, Oma?«
    »Ach Kind, das ist eine schwere Frage. Ich kann sie dir nicht beantworten. Dein Opa war in einer anderen Partei. Er ist Mitglied geblieben, bis alle Parteien außer der NSDAP verboten worden sind. Das hat der Opa dem Hitler nie verzeihen können.«
    »Aber ist das nicht gut, Oma, dass der Führer mit dem Parteiengezänk endlich ein Ende gemacht hat?«
    Die Oma sah ihre Enkelin besorgt an. »Haben sie dir das hier beigebracht?«
    »Ja, Oma. Frau Lötsche ist eine gute Geschichtslehrerin.«
    »Was man mit der Geschichte nicht alles machen kann«, sagte die Oma.
    Der mit großer Begeisterung vorbereitete lustige Abend für die Eltern vertrieb für einige Stunden die traurigen Gedanken. Sie vergaßen, dass der Sonderzug am nächsten Tag gegen Mittag schon wieder nach Norden zurückfahren sollte. Dr. Scholten hatte eigenmächtig Pater Martin und Pater Lukas eingeladen, aber der Direktor sah

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