So weit die Wolken ziehen
verbrannt. Als ich nach dem Fliegeralarm aus dem Luftschutzkeller wieder in meine Wohnung kam, waren mehrere Brandbomben durch die Decke in die Wohnküche geschlagen. Ich habe drei gefunden und eine nach der anderen gepackt und raus damit durch das Fenster auf die Straße. Die vierte habe ich erst bemerkt, als sie schon Funken sprühte. Sie war im Sofa stecken geblieben. Vor unserer Flurtür müssen ja wie in jedem Haus ein Eimer Sand und eine Feuerpatsche stehen. Ich bin auf den Flur gerannt, habe den Eimer reingeschleppt, und obwohl die Funken durch die ganze Küche schossen, bin ich doch nah an das Sofa ran und habe den Sand auf den Brandherd gekippt. Dann habe ich das Wasser aus dem Wasserkessel über dem Sand ausgeleert. Auch die Patsche habe ich nass gemacht und alle Glutfunken damit erstickt. Du kannst heute noch ein paar kleine Brandnarben an meinen Händen sehen. Aber den Schmerz habe ich damals in all meiner Not gar nicht gespürt. Der eklige Brandgeruch war nach vier Wochen immer noch nicht aus der Wohnung verschwunden. Selbst als mein angesengtes schönes Sofa rausgeschafft worden war, roch es im ganzen Raum nach kalter Asche. Das Verrückteste aber war, meiner Freundin Frida Tönnies hat es auch zu sehr gestunken, als sie mich besuchte. Sie hat mir am nächsten Tag ein kleines Fläschchen Uralt Lavendel gebracht, den goldfarbenen Metallverschluss aufgeschraubt und das kostbare Parfüm in der ganzen Küche verteilt. Die Wirkung war fürchterlich. Diese Mischung von Uralt Lavendel und Brandbombenqualm! Wenn die Rüstungsexperten das gerochen hätten, das wäre als Wunderwaffe bestimmt eingesetzt worden. Ich habe die Fenster sperrangelweit aufgerissen und bin für drei Tage zu euch ins Haus gezogen. Da hatte sich der strenge Geruch verflüchtigt. Ich sage dir, Anna, wenn ich heute noch irgendeinen Hauch von Uralt Lavendel rieche, wird es mir übel. Einmal habe ich in der Sonntagsmesse neben einer Madame gesessen, die sich reichlich damit einparfümiert hatte. Ich konnte nicht anders, ich musste rausgehen. Am folgenden Samstag bin ich zur Beichte gegangen und habe dem Pastor gestanden, warum ich die Messe versäumt hatte. Er hat sich ein weißes Tuch vors Gesicht gehalten und ich hatte den Verdacht, dass er gelacht hat. Immerhin, er hat gesagt: Das war keine Sünde, Frau. Wenn man den Teufel riecht, muss man ihm aus dem Wege gehen. Das Sofa würde ich ersetzt bekommen, haben sie mir auf dem Amt für Bombenschäden versprochen. Aber darauf warte ich noch heute.«
»Oma, deine wunderbaren Geschichten sind etwas, das ich hier besonders vermisse. Aber heute will ich dich etwas ganz Wichtiges fragen.«
»Hoffentlich kann ich dir antworten, Anna.«
»Bestimmt, Oma. Sag mir, ob Vater in der NSDAP ist. Neulich hat mich eine Freundin danach gefragt. Ich wusste keine Antwort und kann mich nicht daran erinnern, ob Vater ein Parteiabzeichen getragen hat oder nicht. Bei unseren Lehrerinnen und Lehrern sehen wir es jeden Tag.«
»Kind, du stellst Fragen! Aber warum sollte ich es dir nicht berichten? Es war um die Mitte der Dreißigerjahre. Der Gärtnerei ging es schlecht. In unserem Stadtteil Klosterhardt wohnen nur wenige wohlhabende Leute. Auch gab es damals noch viele Arbeitslose. Da reichte es nur selten für Blumen. Und Gemüse zogen die meisten selbst im Garten. Wenn wir den Marktstand nicht gehabt hätten … Nun hat dein Vater, bald nachdem Opa krank geworden ist und das Bett nicht mehr verlassen konnte, die Gärtnerei übernommen und von morgens bis in die Nacht hinein geschuftet. Deine Mutter hat oft gefragt, was er da so treibt, aber dein Vater hat es ihr nicht verraten. Ich glaube, deiner Mutter ist manchmal der Verdacht gekommen, er habe sich ein Liebchen unter den Arbeiterinnen angelacht. Aber so ist mein Sohn nicht. Tatsächlich hat er sich wenig um die Frauen gekümmert. Deine Mutter musste darauf achten, dass sie ihre Arbeit gut machten. Dann ist dein Vater eines Abends in die Küche gekommen. Wir saßen gerade beim Abendessen. Irgendwas hielt er hinter seinem Rücken versteckt und forderte deine Mutter auf, ihr und sich einen Beerenschnaps einzuschütten. Man konnte ihm ansehen, dass er sich freute. Deine Mutter hat ihn einen verrückten Kerl genannt, aber sie hat ihm den Gefallen getan. Und weißt du, was es war? Er zeigte uns eine neue Blumenzüchtung! Eine Tulpe, größer als alle, die auf dem Markt waren, lachsrot und mit am oberen Rand gekräuselten Blütenblättern. Roter Oktober sollte sie
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