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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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gehörte nicht richtig dazu. Der blanke Hass in den Augen der Mädchen und Jungen hatte sie jedoch verstört und ihr Angst gemacht.
    Die Zeugnisse waren durchweg gut ausgefallen.
    »Einige Kolleginnen hoffen offensichtlich, durch gute Zensuren Ärger mit Schülerinnen und Eltern zu vermeiden«, sagte Dr. Scholten.
    »Es hat sich gezeigt«, sagte Frau Lötsche, »dass regelmäßiges Lernen im täglichen Silentium Früchte trägt. Vor allem konnten wir schnell erkennen, bei welchen Schülerinnen es hakte. Wir waren imstande, rechtzeitig einzuspringen und zu helfen.«
    »Leider wird im Herbst die Entlassung der Mädchen aus der Oberklasse mit dem Reifevermerk nur eine schlechte Lösung sein. Notabitur wäre zutreffender«, sagte Dr. Scholten. »Für die Aufnahme eines Studiums an einer Universität wird es nicht reichen.«
    »Notlösungen sind auch Lösungen.« Der Direktor lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Später werden sicher Maßnahmen ergriffen, die diesen Schülerinnen Wege ins Leben eröffnen.«
    »Trotzdem, so eine Art von Schule, die den ganzen Tag dauert, muss nach dem Endsieg überall im Reich eingeführt werden«, forderte Frau Lötsche. »Die Erziehung der Jugend wird in Zukunft gewiss mehr und mehr dem Staat übertragen.«
    Vorsichtig wandte Frau Brüggen ein: »Ich denke, die Eltern haben die erste Verantwortung für die Kinder, meinen Sie nicht?«
    »Können Eltern überhaupt leisten, was unser Land von ihnen erwartet, Frau Brüggen? Viele sind dazu gar nicht fähig. Außerdem kann man beobachten, dass sich mehr und mehr Frauen nicht allein mit Küche, Kirche, Kindern zufrieden geben werden. Der Krieg beweist es doch jeden Tag: Während die Männer an den Fronten in Russland, auf dem Balkan, in Afrika kämpfen, sind die Frauen an der Heimatfront an ihre Stelle getreten. Sie machen das, was bisher den Herren der Schöpfung vorbehalten war. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass dieses Rad noch einmal zurückgedreht werden kann?«
    »In Afrika nicht mehr«, sagte Dr. Scholten.
    »Bitte?«, fragte Frau Lötsche irritiert.
    »Sie sagten, unsere Soldaten kämpfen in Afrika. Generalfeldmarschall Rommel hat seine Divisionen längst zurückgezogen und seit Mai letzten Jahres gibt es deutsche Soldaten in Afrika nur noch als Gefangene der Alliierten.«
    Direktor Aumann kam Frau Lötsche zu Hilfe und mahnte: »Lenken Sie bitte nicht vom Thema Schule ab, Herr Kollege. Es ist doch offensichtlich, dass die Leistungen unserer Schülerinnen vom Silentium positiv beeinflusst worden sind. Jedenfalls können wir stolz sein auf die guten Zeugnisse unserer jungen Damen und niemand kann ihnen eine gewisse Reife absprechen.«
    Frau Krase sagte: »Nun, beim letzten Schulfest haben sich einige Mädchen allerdings nicht gerade wie Damen benommen. Ich fand, es war beleidigend, wie zwei Lehrkräfte aus unserem Kollegium nachgeäfft worden sind. Ich würde mich auch nicht gern lächerlich machen lassen und kann die betroffenen Kolleginnen gut verstehen, die das Fest verlassen haben.«
    »Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte Frau Brüggen. »Ich habe das gar nicht mitbekommen.«
    »Ach, unsere Kollegin Lötsche zum Beispiel wurde auf ziemlich anstößige Weise veralbert. Ein Sketch wurde aufgeführt, in dem Frau Lötsche eng umschlungen mit einer Mannsperson im Licht einer Laterne stand. Dabei sang ein Mädchen genau wie Lale Andersen: Vor der Kaserne, vor dem großen Tor …«
    »Die Klassensprecherin hat sich für die Mädchen entschuldigt. Damit ist die Geschichte aus der Welt«, sagte der Direktor ungehalten. »Wir sollten sie nicht wieder aufwärmen.«
    Eine Weile sagte keiner mehr etwas. Der Direktor atmete tief durch und wollte das Thema endgültig abschließen: »Insgesamt, glaube ich, können wir ein rundum positives Fazit in Maria Quell ziehen und unsere Oberklasse demnächst getrost ins Leben entlassen.«
    Ins Leben entlassen … Dr. Scholten konnte sich das auch anders vorstellen.
    Es war ein schöner Tag gewesen. Die Sonne hatte den ganzen Tag geschienen. Heidrun Czech hatte den Vorschlag gemacht, im Wald hinter der Kirche Baumhütten zu bauen. Dort waren nämlich einige Buchen gefällt worden. Die Stämme hatten die Waldarbeiter zum Abtransport an den Wegrand geschafft, aber die Äste lagen noch auf dem Boden verstreut.
    »Es dauert nicht mehr lange«, sagte Heidrun Czech, »dann werden die Frauen und die größeren Kinder das Holz wegholen. Kohlen sind knapp und die Zuteilung reicht bei Weitem nicht

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