So weit die Wolken ziehen
äußerten.
Am Filmtag marschierten die Mädchen klassenweise ins Dorf hinunter.
Die Deutsche Wochenschau eröffnete mit ihrer Siegesmusik das Programm. Danach trat der Filmvorführer vor die Zuschauer. Er trug eine offensichtlich maßgeschneiderte Uniform. Frau Lötsche stellte fest, dass er dem Schauspieler Willy Birgel tatsächlich ein wenig ähnlich sah. Sogar den Oberlippenbart hatte er kopiert. Er nickte ihr zu und kündigte an: »Nach dem Spielfilm gibt es noch eine Zugabe. Lasst euch überraschen. Und nun reitet Willy Birgel für euch und für Deutschland.«
Dr. Scholten hatte den Film schon einmal gesehen und flüsterte Schwester Nora zu: »Es ist ein typisches Propagandamuster. Der Sieg wird trotz vieler Hindernisse schließlich doch an unsere Fahnen geheftet.«
Zweimal wurde die Vorführung kurz unterbrochen, weil die Filmrolle gewechselt werden musste. In der letzten Pause sagte Schwester Nora amüsiert zu ihrem Kollegen: »Du kennst den Film, du entdeckst das Muster und trotzdem hast du rote Ohren vor Begeisterung bekommen.«
»Die Filmemacher verstehen eben ihr Handwerk. Man wird hineingezogen, ehe man sich versieht.«
Nach dem Hauptfilm erwarteten die Zuschauer einen Kulturfilm. Der wurde sonst vorweg gezeigt. Aber diesmal sollte es ja ein ganz besonderer Streifen sein.
Als die ersten Bilder auf der Leinwand auftauchten, waren die Mädchen zuerst enttäuscht und stöhnten auf. Reichsminister Joseph Goebbels hielt im Sportpalast in Berlin eine Rede vor einer großen Zuhörermenge.
»Auch das noch!«, zischte Dr. Scholten. Er hatte gleich erkannt, dass es sich um Goebbels’ fanatische Rede vom Februar 1943 handelte.
Die Mädchen waren darin geübt, bei solchen Gelegenheiten ihre Ohren auf Durchzug zu stellen. Doch bei diesem Film gelang ihnen das nicht. Zehn Fragen stellte Goebbels an das deutsche Volk. Vierzehntausend Frauen und Männer waren ausgewählt worden und füllten den Sportpalast in Berlin bis auf den letzten Platz. Sogar verwundete Soldaten saßen gespannt und mit weit aufgerissenen Augen im Saal. Immer wieder wurden Großaufnahmen von Zuhörern eingeblendet. Alle waren wie gebannt und konnten ihren Blick offenbar nicht von Goebbels abwenden. Nach den ersten Aufforderungen Ich frage euch … s tellte er in beschwörendem Ton die vierte Frage: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können? Da schrien die vielen Hundert Menschen wie im Rausch ihr Ja . Auf alle seine Fragen brüllten sie mit Ja . Das ganze Volk schien in diesem zehnfachen Ja zu antworten. Mit dem nicht enden wollenden Beifallssturm schloss der Film.
Da durchlief nicht nur die Mädchen ein Schauer. Selbst als das trübe Licht im Saal eingeschaltet wurde, blieben sie noch auf ihren Plätzen. Sie waren nun wieder voller Zuversicht, dass sich das Kriegsgeschick noch wenden könnte.
Frau Lötsche folgte gern der Einladung des Vorführers, mit ihm eine Tasse Kaffee zu trinken. Weil er sich im Dorf nicht so gut auskannte, schlug sie die kleine Bäckerei vor, die ab und zu noch den guten Butterkuchen vorrätig hatte. Er bot ihr an, sie sollten sich doch mit Vornamen anreden. Er heiße Siegfried. Lieber wäre er mit Karin in eine Bar gegangen, aber so etwas gebe es in dem kleinen Kaff ja wohl nicht, meinte er.
»Stimmt«, bestätigte Frau Lötsche. »Hier gehen spätestens abends um zehn die Lichter aus.«
Beim Abendessen fehlte Frau Lötsche. Die Mädchen stellten fest, dass sie auch um zehn noch nicht in ihrem Zimmer war.
Als Frau Krase am nächsten Morgen eine Bemerkung über ihr langes Ausbleiben machte, sagte Frau Lötsche schnippisch: »Solche wichtigen Kontakte müssen gepflegt werden, Frau Kollegin.«
»Sozusagen warmgehalten werden«, spottete Frau Krase.
Die dreißig Mädchen, die so schnell zur Oberklasse geworden waren, nahmen es recht zuversichtlich auf, dass sie für eine unbestimmte Zeit nach Wien beordert wurden. Wo sie sich dort melden mussten, war ihnen zwar mitgeteilt worden, aber was sie erwartete, das wurde nur mit dem Allerweltsbegriff Soldatenversorgung umschrieben.
Eigentlich hatte Dr. Scholten den Patres zugesagt, dass der Mädchenchor beim Patronatsfest am 5. November im Hochamt einige Choräle singen werde. Die Schar der Sängerinnen war jedoch plötzlich arg zusammengeschmolzen und die sorgfältig einstudierten Gesänge wären dünn ausgefallen.
»Nun«, ermunterte Pater Martin Dr. Scholten, »wenn
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