So wie Kupfer und Gold
musste halb unter das Bett kriechen, bis ich ihn zu fassen bekam. Als ich wieder zurückrobbte, stach mir auf der Innenseite des BettfuÃes etwas ins Auge. Ich schaute genauer hin. Jemand hatte einen Namen in die matt schimmernde Farbe geritzt. Adele.
Aber hatte M. Bernards Frau nicht Tatiana geheiÃen? Vielleicht hatte ja auch ein Hausmädchen ihren Namen hineingekratzt. Was für eine dumme Idee â jeder, der es sah, wusste sofort, wer die Schuldige war, und sie würde prompt bestraft werden.
Ich blies die Lampe aus und schlüpfte zwischen duftende Laken, die wie Seide auf der Haut lagen. Meine Zehen verfingen sich nicht im Stoff wie zu Hause, sondern strichen sanft darüber. Gezwirnte weiÃe Leinwand , dachte ich. Das war aus der Bibel. Oder von Shakespeare. Wer konnte das schon auseinanderhalten?
DrauÃen dröhnten unaufhörlich die Zikaden. Im Zimmer flatterte irgendein groÃes Insekt gegen das Moskitonetz.
Wie sahen die gemütlichen Abende meiner Familie in unserem finsteren grauen Stadthaus jetzt wohl aus ohne ihre kleine Schwester, die ihnen lustige Geschichten erzählte oder Harry wegen seiner dandyhaften Kleidung neckte oder Klavier spielte, während sie sangen? Bisher war ich immer von Menschen umgeben gewesen, die mich liebten. Heimweh packte mich und hinter den geschlossenen Lidern stiegen mir Tränen in die Augen. Ich wischte sie mit der gezwirnten weiÃen Leinwand ab. Ich durfte nicht vergessen, dass ich auch um meiner Geschwister willen hier war und nicht nur um meinetwillen.
Der Duft der wächsernen, schneeweiÃen Kamelien auf dem Kaminsims war zu intensiv. Fast schon widerlich. Er schnürte einem die Luft ab. Noch einmal kroch ich aus dem Bett und passte auf, dass das Insekt nicht unter dem Moskitonetz durchschlüpfte. Ich tappte über den kühlen, glatten Marmorboden, versank dann im samtigen Flor des Teppichs, nahm die Vase, stellte sie drauÃen auf den Balkon und legte mich wieder ins Bett.
Es war zu heiÃ. Ich kickte die Laken weg. Jetzt war ich zu unschicklich entblöÃt. SchlieÃlich schloss ich einen Kompromiss, zog das Laken über meine Mitte und lieà Beine und Arme unbedeckt.
Kapitel 4
UNVERSCHLOSSENE TÃREN
» Bonjour , Sophia.« Mein Patenonkel war unter mir auf die Terrasse getreten und blickte herauf zu meinem Balkon. Er trug kein Jackett und hatte den Kragen seines Hemdes geöffnet. Eine schwarze Locke fiel ihm in die Stirn. Im Sonnenlicht sah er jung und energiegeladen und so unheimlich gut aus, dass ich weiche Knie bekam.
Als mir bewusst wurde, dass ich immer noch mein dünnes Nachthemd trug, verschränkte ich rasch die Arme vor der Brust. Der Blick von meinem Balkon aus hatte mich so fasziniert, dass mir nicht in den Sinn gekommen war, jemand könnte mich beobachten.
Offenbar amüsierte ihn meine prüde Geste, denn in seiner Stimme klang Lachen mit, als er mir zurief: »Ein wunderschöner Morgen, nicht wahr? Ein Junitag, wie er im Buch steht. Ich bedaure, dass ich erst am Abend wieder bei dir sein kann. Die Arbeit ruft, leider. Bank- und Aktiengeschäfte. Bah! Aber wir sehen uns zum Abendessen. Fühle dich wie zu Hause, ma chérie .«
Damit verschwand er im Haus.
Sobald ich mich nicht mehr beobachtet fühlte, entlockte mir die Aussicht, deretwegen ich auf den Balkon getreten war, einen Ausruf der Begeisterung.
Direkt unterhalb lag eine Terrasse. Blutrote Rosen ergossen sich über die Balustrade. Dahinter erstreckte sich in einer Vielzahl von Grüntönen ein Garten mit Hecken und Büschen, die durch Formschnitt in ganz erstaunliche Skulpturen verwandelt worden waren. Die beeindruckendsten waren ein lebensgroÃer Elefant, eine Giraffe und ein Löwe. Doch Dutzende weiterer Figuren aus Buchsbaum ragten auf â menschliche Gestalten, Obelisken und Pyramiden, Kegel und sich nach oben hin verjüngende Spiralen. Die menschlichen Gestalten waren einigermaÃen verstörend â lebendig und doch nicht lebendig und ohne Augen. Woraus könnte ich ihnen Augen machen? Rosen kamen mir in den Sinn und bei der Vorstellung musste ich lachen.
Gepflegte Blumenbeete zogen sich zu einem kleinen See mit Schwänen und einer Brücke im palladianischen Stil hinunter. Hinter dem riesigen Gelände mit See und Rasen und Parklandschaft erstreckten sich Bäume, so weit man schauen konnte. Das Gut war umgeben von einer Mauer aus wildem Wald, der dort am Rand kauerte und
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