So will ich schweigen
Sitzgruppe mit makellos weißen Bezügen. Der prächtige Weihnachtsbaum in der Ecke war
mit weißen Seidenrosen und glitzernden Kristalltropfen geschmückt. Das Esszimmer zur Linken war nicht minder elegant eingerichtet, jedoch in tiefen Rottönen gehalten, und der lange Mahagonitisch war bereits mit Porzellangeschirr und Kristallgläsern gedeckt, wie für ein Festmahl von Schlossgeistern. Die Zimmer strahlten nichts von der ein wenig schlampigen Gemütlichkeit des Kincaid-Hauses aus und auch nichts von dessen lässiger Eleganz. Es erinnerte Gemma an ein Bühnenbild, und sie konnte jetzt verstehen, wieso Juliet lieber von früh bis spät auf irgendwelchen Baustellen herumwerkelte.
Nachdem ihre Mäntel verstaut waren – und Gemma begriff, dass in diesem Haus nie irgendein Kleidungsstück achtlos über eine Stuhllehne geworfen würde -, nahm Hugh seiner Frau die Kiste ab und meinte: »Sag mir nur, wo du sie hinhaben willst.«
»Natürlich in die Küche«, gab sie ungehalten zurück, aber Gemma hatte den Eindruck, dass ihr scharfer Ton eigentlich nicht ihrem Mann galt. Sie wirkte unruhig, und Gemma vermutete, dass es etwas mit der Abwesenheit ihres Schwiegersohns zu tun hatte.
»Kommt, ihr müsst euch unsere Zimmer anschauen«, forderte Sam Kit und Toby auf, und als die beiden brav hinter ihm die breite Treppe hinaufstapften, war Gemma für einen kurzen Moment mit Duncan allein. Er schien ein wenig in sich zusammenzusacken, als sei er froh um die Verschnaufpause.
»Geht’s dir gut?«, fragte er und streichelte ihre Wange. »Und Kit auch? Tut mir leid, es hat länger gedauert, als ich dachte.«
»Was war …?«, begann sie, doch er ließ sie nicht ausreden.
»Ein Baby. Aber es hatte schon lange dort gelegen, Jahre wahrscheinlich. Jules ist ein bisschen mitgenommen.« Er sah ihr nicht richtig in die Augen, und sein Gesicht hatte diesen ängstlich besorgten Ausdruck, den sie inzwischen nur allzu gut kannte.
Gott, wie sie sich wünschte, dass er endlich aufhören würde,
sie wie ein rohes Ei zu behandeln und so zu tun, als würde sie bei der bloßen Erwähnung eines Säuglings gleich zusammenbrechen. Sie wollte gerade protestieren, da hörte sie auf der Treppe ein Rascheln. Als sie aufblickte, sah sie eine dunkelhaarige Frau die Stufen herunterkommen, die just die Art von rotem Seidenkleid trug, das Gemma als das passende Outfit für diesen Abend vorgeschwebt hatte. Von den wenigen Familienfotos, die Duncan ihr gezeigt hatte, hätte sie Juliet Newcombe wahrscheinlich wiedererkannt, aber sie hatte sie sich nicht so zierlich vorgestellt und auch nicht mit diesem gehetzten Ausdruck um die Augen.
»Du bist sicher Gemma«, sagte Juliet, als sie vor ihnen stand. Sie fasste Gemma an beiden Händen, und obwohl das Lächeln sie sichtlich Anstrengung kostete, lag in ihrer Stimme echte Wärme. »Ich freue mich ja so, dich kennenzulernen.«
In diesem Moment merkte Gemma, wie fest sie damit gerechnet hatte, dass Juliet ihr unsympathisch sein würde, und sie spürte, wie ihr die Schamröte ins Gesicht stieg. »Tut mir leid, dass du so einen stressigen Abend hattest«, sagte sie und drückte Juliets kleine, kalte Hände noch einmal, ehe sie sie losließ.
»Ja, die Umstände könnten erfreulicher sein«, pflichtete Juliet ihr bei. »Aber ich bin trotzdem froh, euch beide hier zu haben.« Sie wandte sich an ihren Bruder. »Die Kinder … ich dachte, ich hätte gehört …«
»Die sind oben. Sam spielt den Reiseleiter«, antwortete Duncan.
»Und Caspar? Ist er …?«
Duncan schüttelte den Kopf. »Noch nicht da. Du hättest ihn anrufen sollen, Jules. Vielleicht ist er gerade unterwegs und sucht dich.«
»Das glaube ich kaum«, erwiderte sie, und diesmal war ihre Stimme hart und kalt wie Eis.
»Übrigens«, sagte Duncan in das betretene Schweigen hinein,
das dieser Bemerkung folgte, »Mama und Papa sind in der Küche und brauen ihren berühmten Punsch zusammen. Können wir dir vielleicht irgendwie helfen …?«
In diesem Moment ging die Haustür auf, und ein Mann trat in die Diele. Juliet erstarrte, die Hand in einer unbewussten Abwehrgeste zur Brust erhoben. »Caspar.«
Caspar Newcombe – groß, schlank, dunkelhaarig wie seine Frau – war tadellos gekleidet und trug eine teuer aussehende randlose Brille. Der Eindruck, den er mit seiner gepflegten, leicht aristokratischen Erscheinung machte, wurde jedoch durch den mürrisch verzogenen Mund und den kalten Blick, mit dem er seine Frau anstarrte, gründlich verdorben. Gemma
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