So will ich schweigen
Aber vielleicht sollte er sich diesen Dutton einmal persönlich vorknöpfen. Der Mann war schließlich der ideale Ansprechpartner, wenn man an unvoreingenommenen Erklärungen für Juliet Newcombes Verhalten interessiert war.
»Du darfst niemandem etwas davon sagen, okay? Was ich getan habe, war nicht ganz sauber.« Juliet wartete, bis Gemma Einverständnis signalisierte, dann fuhr sie zögerlich fort. »Ich war im Büro«, sagte sie. »Im Büro von Caspar und Piers. Ich hatte das ursprünglich gar nicht vorgehabt, aber irgendwie bin ich in Nantwich gelandet, und da kam mir der Gedanke, dass das die Gelegenheit wäre, mich ungestört im Büro umzuschauen. Und Piers’ Papiere zu durchsuchen.« Sie sah Gemma an, als erwarte sie eine Rüge, doch Gemma nickte nur.
»Hat das mit Caspars Auftritt gestern Abend zu tun?«, fragte Gemma.
Juliet blickte zu Toby hinüber, der sich wieder seinem Puzzle zugewandt hatte und leise summend die Teile auf dem Tisch herumschob. »Ja. Aber nicht, was du denkst.« Ihr Ton war bitter. »Als Caspar und Piers sich damals zusammentaten, erschien mir Piers Dutton wie der aufmerksamste und rücksichtsvollste Mann, dem ich je begegnet war. Er ließ mich nie seine Post aufmachen oder seine Ablage machen. Er sagte, er wolle mir die Arbeit abnehmen. Ich wusste natürlich, dass er vorher keine Sekretärin gehabt hatte, und es war ziemlich bald klar, dass er seine ganz bestimmten – um nicht zu sagen zwanghaften – Vorstellungen davon hatte, wie alles gemacht werden musste. Ich nahm einfach an, dass es ihm lieber war, wenn er solche Dinge selbst erledigte. Und in der ersten Zeit war ich auch noch ziemlich unsicher – ich war schließlich jahrelang zu Hause gewesen und hatte mich um die Kinder gekümmert, bis Caspar dann vorschlug, ich könnte ihnen doch im Büro zur Hand gehen.
Und ich wäre zehnmal besser zu Hause geblieben. Man glaubt es kaum, wenn man uns jetzt so sieht, aber ich dachte damals wirklich, ich hätte ein gutes Leben, eine gute Ehe.« Sie sah Gemma an und lächelte schief. »Du machst es richtig – gar nicht erst heiraten, dann kann es auch nicht in die Hose gehen.«
»So einfach ist das nicht«, protestierte Gemma. »Und was ist dann passiert?«, drängte sie Juliet, um möglichst schnell das Thema zu wechseln. »Hat Piers sich irgendwie verändert?«
Juliet starrte die ländliche Szene auf ihrem Teebecher an, als könne sie die Antwort dort finden. »Es war die Summe von vielen Kleinigkeiten – wie wenn irgendwo im Haus ein Wasserhahn tropft. Zuerst bist du dir gar nicht sicher, ob du überhaupt irgendetwas hörst, und dann wird es nach und nach immer schlimmer, bis du irgendwann glaubst, dass du den Verstand verlierst, wenn du nicht herausfindest, wo es herkommt.
Er nahm die Post immer gleich an sich, bevor ich mit dem Sortieren fertig war. Er machte seine Tür zu, wenn er mit Kunden telefonierte. Er schloss seine Akten im Schrank ein.«
»Und Caspar hat das nicht gemacht?«
»Wieso sollte er? Die Informationen über die Investitionen der Kunden sind natürlich vertraulich, aber es ist schließlich nicht so, als ginge es um Fragen der nationalen Sicherheit.«
»Es sei denn, man tut etwas Unmoralisches oder gar Illegales«, sagte Gemma, und Juliet nickte.
»Und so begann ich, Verdacht zu schöpfen. Ich kam einfach nicht dahinter, was er eigentlich trieb. Und immer wieder redete ich mir ein, ich sei verrückt, auch nur an so etwas zu denken. Und dann, eines Tages, als Piers gerade in der Mittagspause war, fiel mir auf, dass eine seiner Aktenschubladen nicht ganz geschlossen war. Ich stand in seinem Büro und überlegte gerade, ob es das Risiko wert sei, einen schnellen Blick zu wagen, aber da kam er auch schon zurück.« Juliet blickte von ihrem Calvados auf, den sie nicht angerührt hatte, seit sie zu reden begonnen hatte. »Ich weiß noch, dass ich zusammengefahren bin, und ich muss wohl ziemlich schuldbewusst dreingeschaut haben, aber er hat nur gelächelt. Piers lächelt immer. Aber einen kurzen Moment lang sah ich etwas in seinen Augen.« Sie schluckte. »Hinterher habe ich mir einzureden versucht,
ich hätte es mir nur eingebildet. Ich sollte wohl dankbar sein, dass ich ein so behütetes Leben hatte, denn ich habe es anfangs gar nicht als das erkannt, was es war.«
Gemma nickte. Sie wusste, wovon Juliet sprach und warum sie zögerte, das, was sie damals gespürt hatte, zu benennen. Auch sie hatte es schon gesehen – zwar nur wenige Male, aber diese Blicke
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