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So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

Titel: So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamid
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du immer nur ein minimales Guthaben auf deinem Konto. Heute Abend aber kaufst du dir im Voraus schleunigst eine ziemlich große Prepaidkarte.
    Doch der Anruf, den du erwartest, kommt nicht. Und als du das hübsche Mädchen anrufen willst, geht sie nicht dran.
    Ernüchtert erledigst du die restlichen Auslieferungen ohne sonderlichen Einsatz. Erst gegen Ende deiner Schicht, nach Mitternacht, ruft sie an.
    »Hi«, sagt sie.
    »Hi.«
    »Ich will noch einen Film.«
    »Welchen?«
    »Keine Ahnung. Erzähl mir was von dem, den ich gerade gesehen habe.«
    »Du willst ihn noch mal sehen?«
    Sie lacht. Zweimal in einer Nacht. Du bist erfreut.
    »Nein, du Idiot. Ich will mehr darüber erfahren.«
    »Was denn?«
    »Na, alles. Wer mitspielt. Was die noch gemacht haben. Was die Leute sagen, wenn sie darüber sprechen. Warum er beliebt ist.«
    Also sagst du es ihr. Erst hältst du dich an das, was du weißt, und als das erschöpft ist und sie mehr hören will, sagst du, was deiner Meinung nach plausibel ist, und als sie noch mehr hören will, riskierst du glatte Erfindungen, bis sie sagt, sie habe genug gehört.
    »Und wie viel davon hat gestimmt?«, fragt sie.
    »Weniger als die Hälfte. Aber einiges auf jeden Fall.«
    Wieder lacht sie. »Ein ehrlicher Junge.«
    »Wo sind deine Eltern?«
    »Warum?«
    »Bloß, weil sie dich um diese Zeit telefonieren lassen.«
    »Mein Vater ist unterwegs. Und meine Mutter schläft.«
    »Sie wacht nicht auf, wenn du telefonierst?«
    »Ich bin auf dem Dach.«
    Du stellst es dir vor. Das Bild von ihr allein auf einem Dach raubt dir ziemlich den Atem. Aber noch bevor dir etwas Passendes dazu einfällt, spricht sie wieder.
    »Morgen will ich noch einen. Du suchst aus. Aber einen beliebten.«
    Damit beginnt ein Ritual, das mehrere Monate dauern wird. Ihr trefft euch auf dem Weg zur Arbeit. Ohne stehen zu bleiben oder auch nur ein Wort zu wechseln, gibst du ihr entweder eine DVD oder nimmst diejenige zurück, die sie gerade gesehen hat. Nachts sprecht ihr. Anfangs kommst du dir vor wie ein Professor für ein Gebiet, auf dem du dich kaum auskennst, aber weil du ihr nur Filme gibst, die du schon teilweise gesehen hast, kannst du ihr immerhin eine eigene Meinung dazu sagen. Bald füllt sie dir bereitwillig Handlungslücken auf, erzählt dir sogar ganze Handlungsstränge. Und so werden eure Debatten intensiver, manchmal sogar hitzig. Deine Telefonausgaben müssten beträchtlich sein, das meiste, wenn nicht dein ganzes Trinkgeld auffressen, aber sie besteht darauf, dich anzurufen, daher kostet es dich nichts. Auch besteht sie darauf, dass ihr beide nicht über euch oder eure Familien sprecht.
    Der Vater des hübschen Mädchens ist ausgebildeter Stenograf, der seit einiger Zeit kein Diktat mehr aufgenommen oder eine andere Anstellung innegehabt hat. Er hatte schon immer eine Schwäche für Kartenspiele und schwarzgebrannten Schnaps, aber fehlende Mittel haben in seinem Fall dafür gesorgt, dass es nur kleinere Laster geblieben sind. Sein Ruin kam, als sein Arbeitgeber, der Besitzer einer kleinen Firma für Plastikflaschen, diese verkaufte und seinen Arbeitern Abfindungen auszahlte. Der Vater des hübschen Mädchens, der mit seinem scheidenden Chef täglich in engem Kontakt stand, wurde besonders großzügig behandelt und erhielt etwas mehr als seinen bescheidenen Jahreslohn als Pauschalsumme. Er hat nie wieder gearbeitet.
    Ein Tag im Leben des Vaters des hübschen Mädchens beginnt nun damit, dass er sich schlafen legt, was im Morgengrauen geschieht, und bei Sonnenuntergang oder noch später steht er auf. Er nimmt sich an Geld, was er von seiner Frau und seiner Tochter bekommen kann, und geht zu der Bar, ein geheimes Etablissement, das von illegalen afrikanischen Immigranten in einem Raum betrieben wird, der durchs Viertel wandert und jedes Mal weitermuss, wenn die Polizei trotz der Bestechungsgelder, die sie erhält, genügend Druck von religiösen Aktivisten spürt, um die Bar mit großem Getöse dichtzumachen. Bis gegen Mitternacht trinkt er allein, dann beginnt das Spiel. Worauf er sich zu dem verrammelten Stand begibt, wo seine Freunde ihm Karten geben. Einige davon haben ihn in der Vergangenheit brutal zusammengeschlagen, was unter anderem zur Folge hat, dass er drei Finger seiner linken Hand nicht mehr krümmen kann. Momentan schuldet er einem Gangster aus dem Viertel, ein düsterer Mann, der eindeutig nicht sein Freund ist, eine beträchtliche Summe, und er spielt in der Hoffnung, diese Summe zu

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