Socrates - Der friedvolle Krieger
wir sie dir übergeben können.«
Andreas sah erst seine Mutter an und dann Katja, bevor er zögernd fortfuhr: »Du solltest wissen, dass ich sie fünf Jahre lang nicht angerührt habe, aber als wir dann immer noch nichts von dir gehört hatten, verkauften wir zwei der kleineren Steine. Wir wussten ja noch nicht einmal, ob du überhaupt noch am Leben bist. Der Erlös hat mir geholfen, ein kleines Geschäft aufzubauen und die ersten Kosten zu zahlen. Aber jetzt haben wir genug Geld und ich werde dir alles …«
Sergej hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Bitte betrachte die beiden Steine als Geschenk. Lass uns nicht mehr davon reden.«
Andreas begann den Kopf zu schütteln, aber Valeria unterbrach ihn. »Ich brauche sie nicht und mein Sohn ist zu stolz, um etwas von dir zu erbitten. Aber könntest du der wachsenden Familie nicht vielleicht noch zwei Steine schenken?«
»Ich werde euch noch vier geben«, erwiderte Sergej.
Sie sahen auf die Edelsteine, die funkelnd auf dem Tisch lagen. Die Nachmittagssonne ließ manche von ihnen in einem tiefen Grün erstrahlen, andere in einem satten Rot. In den Diamanten aber brach sich das Licht und warf Regenbögen an die Wände.
Da er wusste, dass Andreas sich sicherlich nur die kleineren Steine nehmen würde, suchte er vier von den Größeren aus und schob sie über den Tisch. »Bitte Andreas, nimm diese für deine Familie.«
Valeria tat die übrigen Edelsteine zurück in den Beutel und legte ihn Sergej in die Hand. »Von deinem Großvater Heschel«, sagte sie dazu schlicht.
Sergej wusste, dass die Steine es ihm ermöglichen würden, nach Amerika zu gehen und dort ein neues Leben anzufangen. Er starrte den Beutel einen Augenblick lang an, bevor er fragte: »Habt ihr irgendeine Vorstellung davon, wie viel sie wert sind?«
»Ja«, erwiderte Andreas. »Wir haben dem Juwelier Jablonowitsch, einem guten Freund deines Großvaters, ja zwei verkauft. Für den einen haben wir sechzehnhundert Rubel bekommen, für den anderen zweitausend. Und das waren die beiden kleinsten!«
Er unterbrach sich kurz, um einen Schluck Wasser zu trinken. »Ich bat ihn, die anderen zu schätzen. Er nahm eine Lupe heraus und betrachtete einen Stein nach dem anderen. Er drehte sie hin und her, wog sie und dann sagte er: ›Ich kann dir nicht sagen, was sie wert sind, denn das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber ich kann dir sagen, wie viel sie bringen würden, solltest du sie verkaufen wollen. Ich will es mal so sagen: Heutzutage kannst du ein ausgezeichnetes Essen in einem vornehmen Restaurant für fünfundzwanzig Kopeken bekommen. Dieser Stein hier‹, und damit zeigte er auf den kleinsten der Rubine, ›würde dir viele Jahre lang drei Mahlzeiten am Tag schenken. Und dieser hier‹, und damit zeigte er auf einen Smaragd, ›für den würdest du noch mehr bekommen. Und die Alexandriten sind noch wertvoller als Diamanten. ‹ Wenn du nur etwas bescheiden bist, wirst du bis ans Ende deiner Tage davon leben können.«
Andreas schloss mit den Worten: »Daran kann ich mich noch gut erinnern. Ich weiß nicht mehr jedes Wort, das er sagte, aber eines weiß ich mit Sicherheit: Du bist ein sehr reicher Mann, Sergej.«
Als Valeria und Katja in der Küche verschwunden waren, nahm Andreas Sergej beiseite und sagte: »Bruder, ich weiß, dass du das alles erst einmal verdauen musst, aber könntest du mir trotzdem bitte erzählen, was damals passiert ist? Ich wollte dich all die Jahre danach fragen und auch wenn es wehtut, so muss ich es doch wissen.«
»Es wird immer weh tun«, antwortete Sergej. »Aber du sollst alles erfahren.« Dann erzählte er Andreas, wie seine Schwester gestorben war und was Sakoljew anschließend getan hatte. Als er sah, dass Andreas Gesicht aschgrau geworden war, tat es ihm leid, dass er so viel gesagt hatte.
»Danke, dass du mir nichts verschwiegen hast«, sagte Andreas, ohne Sergej anzusehen. »Die Ungewissheit hätte mich sonst immer gequält.« Dann sah er Sergej an und sagte: »Mutter wird es auch wissen wollen, aber …«
»Ich werde ihr die Wahrheit sagen, aber die Einzelheiten erspare ich ihr.«
Andreas nickte dankbar. Dann kam Katja aus der Küche und das Paar zog sich zur Nachtruhe zurück. Sergej verbrachte den restlichen Abend mit Valeria. Sie redeten bis tief in die Nacht und schlugen so eine Brücke über den Abgrund all der Jahre, in denen sie getrennt gewesen waren.
40
A m nächsten Nachmittag ging Sergej mit Valeria und Andreas zu Anjas
Weitere Kostenlose Bücher