Socrates - Der friedvolle Krieger
und in dem mein Mann und meine Tochter begraben liegen.«
Stille erfüllte den Raum. Sergej schien der richtige Zeitpunkt gekommen, um zu fragen: »Möchtest du das Grab deiner Tochter sehen?«
»Ja, das würde ich gern«, sagte Valeria seufzend. »Nach all den Jahren. Wo wir nun endlich wieder beisammen sind.«
Nachdem das Geschirr weggeräumt worden war, sagte Valeria: »Und nun musst du uns erzählen, was seit unserer Trennung alles passiert ist.«
Wie soll man all die vielen Jahre und Erfahrungen, das Leiden und die Mühen mit ein paar Worten wiedergeben? Sergej tat sein Bestes, um ihnen wenigstens von seinem Rachegelübde, seiner jahrelangen Suche und Vorbereitung und schließlich von seiner Zeit auf Walaam zu erzählen.
Kaum hatte er das Wort »Walaam« ausgesprochen, als Valeria ihn unterbrach: »O Sergej, das hab ich ja in der Aufregung ganz vergessen. Wir haben einen Brief für dich - aus Walaam. Er kam vor etwas sechs Monaten an. Und ich habe ihn für dich aufgehoben, falls du je …« Sie brach ab, um den Brief zu holen.
Als sie zurückkam, hielt sie ein Blatt Papier in der Hand, das sie Sergej gab. In dem Brief stand:
Lieber Sergej,
ich hoffe, dass dich dieser Brief erreicht. Vater Seraphim
hätte sicher gewollt, dass du weißt, dass er diese Welt im
vergangenen Dezember verlassen hat. Er hatte seinen Frieden
gefunden - mit der Welt und mit Gott. Ich glaube, er
hat dich sehr gern gehabt.
Bruder Jewgeni, Sankt Awram Rostow
Sergej seufzte. Also musste er nicht nach Walaam. Während er tief Luft holte, verabschiedete er sich im Geiste von seinem spirituellen Vater, Freund und Lehrer. Möge Gott dich segnen, Seraphim , dachte er. Ich bin eine der vielen Seelen, die du gerettet hast . Als er aufsah, sagte er nur: »Ein guter Freund von mir ist von uns gegangen.«
»Und wie sehen deine Pläne aus?«, fragte Andreas etwas später.
»Bitte bleib doch bei uns«, warf Valeria ein. »Wir können gut noch etwas zusammenrücken.«
Sergej lächelte dankbar. »Vielleicht bleibe ich eine Weile, bevor ich nach Amerika reise. Ich muss Arbeit finden, um mir das Geld für die Überfahrt zu verdienen.«
»Das wird nicht nötig sein«, warf Andreas verschwörerisch grinsend ein. »Einen Augenblick bitte.«
Als er zurückkam, trug er einen Samtbeutel, aus dem er mehrere Juwelen vor Sergej auf den Tisch schüttete. »Die hier werden wohl für die Überfahrt und einiges mehr reichen. Das soll aber nicht heißen, dass wir dich loswerden wollen.«
Sergej sah die funkelnden Edelsteine ungläubig an. »Andreas, das ist wirklich großzügig von dir, aber ich kann doch deine Juwelen nicht annehmen.«
Andreas lachte und auch Katja schien seine Bemerkung äußerst lustig zu finden. Valeria schüttelte sich sogar vor Lachen. Sie holte Luft und sagte: »Sergej, die gehören nicht Andreas, die gehören dir.«
»Was? Ich verstehe nicht ganz.«
»Die Uhr!«, rief sie aus, als ob das alles erklären würde. Sergejs verwirrter Gesichtsausdruck rief einen erneuten Heiterkeitsausbruch hervor. Valeria nahm sich schließlich zusammen und erklärte: »Als ich dich an jenem schrecklichen Tag hinauswarf, fiel die Uhr vom Kaminsims und zerbrach. Ich war so aufgewühlt, dass mir nichts auffiel.«
Andreas sprang ein und sagte: »Als ich nach Hause kam und die zerbrochene Uhr sah, dachte ich zunächst, es wäre eingebrochen worden. Ich rannte durch die Wohnung und fand Mutter in ihrem Zimmer. Von ihr erfuhr ich, was geschehen war.«
»Als ich später zurück in die Stube ging, um aufzuräumen, fand ich sie: Unter den Bruchstücken der Uhr lagen mehrere Edelsteine am Boden. Ich tat sie in eine Tasse und stellte sie auf das Küchenregal. Irgendwie wusste ich, dass sie viel wert sein müssten, aber wir hatten ja keine Ahnung, wie wertvoll sie wirklich waren.«
Langsam fing Sergej an zu begreifen. »Dann hat mein Großvater die Steine also in der Uhr versteckt?«
Andreas nickte. »Alle vierundzwanzig Stück.«
Niemand sprach, während Sergej versuchte, die Neuigkeit zu verdauen. Er dachte an den Tag, an dem er die Uhr gefunden und den Brief seines Großvaters gelesen hatte. Denke immer daran, dass der wahre Schatz im Innern liegt . Sergej musste lächeln, als er daran dachte, wie viel Freude es Heschel bereitet haben musste, diese doppeldeutigen Worte zu schreiben.
Dann hörte er Andreas sagen: »Diese Juwelen sind deine Erbschaft, Sergej. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh wir sind, dass du endlich da bist und dass
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