Socrates - Der friedvolle Krieger
Sergej zudem Vorräte und einhundert Rubel mit auf den Weg gegeben. »Behalte das Pferd, so lange es dich trägt.« Sergej nannte die Stute »Paestka« - Reise.
Vater Seraphim schaute zu, wie Sergej sich in den Sattel schwang, den einer der Brüder irgendwo gefunden hatte. Die Augen des alten Mönches leuchteten und seine Haut schien durchsichtig zu sein, als ob er nicht aus Fleisch gemacht wäre, sondern aus Licht.
Sergej wollte sich noch einmal bedanken und verabschieden, aber Vater Seraphim hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Für uns gibt es keine Abschiede, Socrates.«
TEIL 6
Der Sturm zieht herauf
Es bildet ein Talent sich in der Stille,
sich ein Charakter in dem Strom der Welt.
JOHANANN WOLFGANG VON GOETHE
39
I m Jahr 1908 ritt ein Mann namens Sergej Iwanow westwärts nach Sankt Petersburg. Obwohl der Name derselbe wie früher war, hatte sich doch der Mann von Grund auf verändert. Er war ein friedvoller Krieger geworden, der tiefer atmete, aufrechter saß und leichter lachte. In seinen Augen strahlte das Licht des inneren Friedens. Aber abgesehen von diesen Merkmalen hätte man denken können, dass in Margelan nicht viel mit ihm passiert wäre.
Sergej kannte mittlerweile die Namen der Meister, in deren Herzen er geschaut hatte: Kanzaki, Chen, Chia, Jeschowitz, ben Musawir, Pria Singh, Naraj, Maria und natürlich Georg, der sie alle zusammengerufen hatte.
Als Sergej nach einer äußerst anstrengenden Reise in Margelan angekommen war, hatte er den Meistern zunächst als Assistent gedient. Er hörte aufmerksam zu, als sie über verschiedene Formen der Meditation sprachen, über Bilder und innere Klänge, über Gesänge, Atemtechniken und Konzentrationsübungen, welche die innere Energie verstärken, über geistige Arbeit, um die intuitive Schau zu erlangen, über Hypnose und die Zuwendung zu dem niederen und dem höheren Selbst, über die drei Formen des Selbst, über Kirtan und Kabbala, über die Wahrheit, die in allen heiligen Büchern enthalten ist, und über jede Art der Betrachtung gewöhnlicher und außergewöhnlicher Zustände.
Die Gemeinschaft übte auch Bewegungen aus verschiedenen Kampfkünsten, wie das in Zeitlupe ausgeführte Taiji, aber diese Übungen waren dazu gedacht, zu lernen, wie man sich effizienter bewegt, wie man vital und gesund wird. Ihr Ziel war Erneuerung, nicht Zerstörung.
Eines Tages debattierten Jeschowitz und Naraj ein strittiges Thema und Sergej gab zu seiner eigenen Überraschung einen Kommentar dazu ab. »Ich glaube, Jeschowitz hat die realistischere Sichtweise.«
Die Meister baten ihn augenblicklich, sich doch den Tag freizunehmen. Wohl wegen meiner Frechheit, dachte Sergej. Aber als er zurückkehrte, erfuhr er zu seinem Erstaunen, dass sie in der Zwischenzeit beschlossen hatten, ihn als eine Art Testperson zu nutzen. Sergej sollte jede der Methoden üben, auf die sie sich geeinigt hatten. Auf diese Weise drang er tiefer in die Übungen ein, weil er die Auswirkungen am eigenen Leib spüren konnte. Er berichtete den Meistern, was er erlebt hatte, und das konnte ihnen weitere Einsichten bringen.
Nach einigen äußerst intensiven Monaten erkannte er sich selbst kaum wieder. Sein Gesicht hatte sich verändert, es war geheilt. Die Narbe auf seinem Arm war verschwunden. Sein Körper fühlte sich zehn Jahre jünger - wie der eines Kindes. Nur sein weißes Haar veränderte sich nicht, es würde ihn immer an seine Vergangenheit erinnern. Aber Vergangenheit und Zeit waren nichts weiter als Worte geworden, die man der Bequemlichkeit halber gebrauchte, aber sie hatten keine Bedeutung mehr, weil er nun immer ganz im gegenwärtigen Augenblick lebte.
Es gab eine Art Initiation, eine Prüfung in neun Stufen, nach der er in die Gemeinschaft der Meister aufgenommen und als einer der ihren willkommen geheißen wurde.
Dann war die Zeit des Abschieds gekommen. Jeder von ihnen hatte neue Einsichten gewonnen und allen gemein war die Überzeugung, dass es noch Hoffnung für die Menschheit gab. Alle waren überzeugt davon, dass jeder Mensch, der ernsthaft daran interessiert war, in ein höheres Leben hinein erwachen konnte. Dann würde das Gewöhnliche außergewöhnlich werden und die so genannten mystischen Zustände würden ein normaler Teil des menschlichen Lebens werden.
All diese Erfahrungen und Einsichten brachte Sergej mit, als er auf Paestka in Sankt Petersburg einritt. Er hatte sich genau überlegt, was er tun würde: Schon bald würde er Vater Seraphim
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