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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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Kämpfe gewann, sogar gegen einige der älteren Jungen. Er lernte mit dem Gewehr und der Pistole vom Pferderücken aus zu schießen und stellte sich dabei vor, er wäre ein großer Kosak wie Alexej oder sein Vater. Während dieser Zeit wuchs er fast schneller aus seinen alten Kleidern heraus, als man ihm neue beschaffen konnte. Die Uniform schlackerte nicht länger um seinen mageren Körper. Er konnte förmlich spüren, wie Brust, Arme und Beine von Minute zu Minute muskulöser wurden.
     
    Im März seines vierzehnten Lebensjahres hörte Sergej zufällig Teile eines Gesprächs zwischen Leutnant Danilow und einem der älteren Kadetten. Als das Wort »Jude« fiel, hörte er genauer hin und schnappte einige Worte auf. »Konstantin Pobedonostow, der Verwalter des Zaren … ein Drittel der Juden gezwungen zu konvertieren, ein Drittel ausgewiesen … der Rest umgebracht … Pogrom … Kosaken.« Die Zeiten wurden offensichtlich düsterer für das jüdische Volk, wie es sein Großvater vorhergesagt hatte.
    An einem Freitagnachmittag nach dem Überlebenstraining gelang es Sergej, Instruktor Orlow allein anzutreffen. Er fragte ihn, ob er mit ihm zum Tor zurückmarschieren dürfe. Alexej nickte und sein freundliches Lächeln ermutigte Sergej zu fragen: »Ermorden die Kosaken Juden?«
    Alexej schien von der Frage überrascht. Er ging weiter, zunächst ohne zu antworten. Einen Augenblick lang hatte Sergej Angst, dass ihn sein Instruktor fragen könne, warum er sich solche Sorgen um ein paar Juden mache, aber stattdessen sagte Alexej: »Dein Onkel hat mir etwas von deiner Familiengeschichte erzählt, Sergej. Deshalb verstehe ich deine Sorgen.« Er fügte hinzu: »Keine Angst, dein Geheimnis ist bei mir sicher aufgehoben. Immerhin ist deine Mutter konvertiert und in deinen Adern fließt auch Kosakenblut. Auf deine Frage, ob einige Kosaken Juden getötet haben, muss ich wohl mit ja antworten.«
    Er fuhr fort: »Wir Kosaken fühlen uns dem Zaren und der Kirche tief verbunden. Daher erscheint uns die Lebensweise der Juden als fremd. Aber wir sind ein freies, tolerantes Volk. Jene, die plündern, morden und rauben und die Juden wie Tiere jagen, sind keine Kosaken, sondern Nationalisten, die alle Fremden hassen. Die wahren Kosaken besitzen Ehrgefühl, Sergej. Wir bekämpfen die Feinde Russlands, wir schlachten keine gläubigen Menschen ab, selbst wenn sie anders sind als wir.«
    Er hielt einen Moment inne, dann fügte er hinzu: »Aber selbst unter uns Kosaken gibt es einige, die nach einer Schlacht Frauen vergewaltigt und so Schande über uns alle gebracht haben. Zweifellos hat die Gewalt gegen Juden von Seiten zorniger Bauern und auf Befehl des Zaren von Soldaten und Mitgliedern der Ochrana, der zaristischen Geheimpolizei, zugenommen. Ich muss zugeben, dass eine kleine Anzahl Kosaken ebenfalls jüdische Dörfer überfallen und einige Menschen umgebracht haben. Es ist eine Schande.«
     
    Nicht lange nach dieser Unterhaltung stand Sergej während einer Unterrichtspause im Waschraum, als Sakoljew hinzukam, ihn anrempelte und sagte: »Na, wenn das nicht der heilige Sergej ist!«
    Darauf war Sergej nicht vorbereitet. Sah Sakoljew ihn tatsächlich so? Wie sollte er reagieren? Wenn er Sakoljew ignorierte und so tat, als hätte er die Bemerkung nicht gehört, würde er mit Sicherheit dafür büßen. Also zuckte er mit den Schultern und murmelte: »Na ja, man tut was man kann.« Dann verließ er den Waschraum so schnell er konnte.
    Sergej verspürte keinerlei Neigung, sich mit Sakoljew zu prügeln, der nicht nur drei Jahre älter war, sondern auch mit derselben Hingabe trainierte wie er selbst. Aber er vermutete, dass eine Auseinandersetzung letzten Endes unvermeidlich war. Alexej würde sich niemals von einem solchen Schlägertypen terrorisieren lassen und Sergej hatte dies ebenfalls nicht vor. Er hatte den Älteren bei vielen Kämpfen beobachtet und dabei immer versucht, dessen Schwachpunkte zu erkennen. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass auch Sakoljew ihn beobachtete.
    Ein paar Tage später versammelte Instruktor Orlow die Kadetten und gab bekannt, dass sie am nächsten Morgen zu einem siebentägigen Überlebenstraining ausrücken würden. Sie sollten paarweise gehen - jeweils ein älterer mit einem jüngeren Kadetten. Dann befahl er den Älteren, sich einen Partner auszusuchen.
    Sakoljew wählte Sergej. Und damit nahm das Wort »Überlebenstraining« eine völlig neue Bedeutung an.

7
    A m nächsten Morgen bei Sonnenaufgang

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