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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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Bezug auf seine Eltern und seine Vergangenheit. Der Kommandant hatte Sergej weder über das eine noch das andere viel erzählt. Er hatte ihm lediglich vor vier Jahren bekannt gegeben, dass sein Vater gestorben war.
    Zum Kommandanten befohlen zu werden - was äußerst selten vorkam - bedeutete entweder, dass es schlechte Nachrichten gab oder dass man bestraft werden sollte. Da er verständlicherweise keine Eile hatte, vor dem Kommandanten mit seiner strengen Miene und seiner ständig gerunzelten Stirn zu erscheinen, schlenderte Sergej in einem völlig unmilitärischen Tempo über den Platz.
    Jeder Fleck, an dem Sergej vorbeikam, rief Erinnerungen wach: Der Pferch zum Beispiel erinnerte ihn an das erste Mal, als er auf einem wild um sich tretenden Pferd gesessen hatte. Er hatte sich verzweifelt an die Zügel geklammert und versucht, sich seine Todesangst nicht anmerken zu lassen. Ein freier Platz erinnerte ihn an die vielen Kämpfe, in die er aufgrund seines Jähzornes schon verwickelt worden war.
    Er ging erst am Lazarett vorbei und dann an der kleinen Wohnung von Galina, der ältlichen Krankenschwester, die sich seiner zuerst angenommen hatte. Sie hatte ihm über die Wange gestrichen, als er krank war, und ihn zum Essen gebracht, bis er sich selbst zurechtgefunden hatte. Da er zu jung war, um in den regulären Stuben der Kadetten zu bleiben, hatte er in den ersten zwei Jahren auf einer Pritsche im Lazarettflügel schlafen müssen. Es war eine einsame Zeit gewesen, da er seinen Platz noch nicht gefunden hatte. Die anderen Kadetten hatten ihn wie ein Maskottchen oder ein Haustier behandelt: An einem Tag hatten sie ihn gestreichelt, am nächsten Tag getreten.
    Die meisten anderen Jungen hatten ein Zuhause, einen Vater und eine Mutter, aber Sergej hatte nur seinen Onkel, deshalb strengte er sich nach Kräften an, um seinem Onkel zu gefallen. Seine Bemühungen brachten ihm allerdings nur den Zorn der älteren Kadetten ein, die ihn höhnisch als »Onkel Wladis Junge« betitelten. Sie quälten ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sie schubsten und schlugen ihn oder stellten ihm ein Bein. Jeder Moment der Unaufmerksamkeit bedeutete einen neuen blauen Fleck oder etwas Schlimmeres. Es war allgemein üblich, dass die älteren Kadetten auf den jüngeren herumtrampelten, und Prügeleien waren an der Tagesordnung. Die Instruktoren wussten davon, aber sie sahen einfach weg, solange niemand ernsthaft verletzt wurde. Sie tolerierten die Prügeleien, weil die jüngeren Kadetten dadurch wachsamer und härter wurden. Schließlich befanden sie sich in einer Kadettenanstalt.
    Als Sergej zum ersten Mal von einem älteren Kadetten angegriffen wurde, hatte er wie wild um sich geschlagen, weil er ahnte, dass die Übergriffe nie aufhören würden, wenn er jetzt klein beigab. Der ältere Junge verprügelte ihn nach Strich und Faden, aber immerhin gelang es Sergej, ein oder zwei Treffer zu landen. Danach belästigte ihn der Junge nie wieder. Einmal war Sergej dazugekommen, als zwei Kadetten einen Neuankömmling verprügelten. Er hatte die beiden wie ein wütender Bulle angegriffen, woraufhin sich diese zurückzogen und so taten, als wäre das Ganze nur ein Witz gewesen. Aber für den Neuen, dessen Name Andrej war, war es kein Witz gewesen. An diesem Tag wurde er der einzige wirkliche Freund, den Sergej jemals gehabt hat.
    Als Jüngster der ganzen Anstalt schlief Sergej in einem Gebäude mit den Sieben- bis Zehnjährigen. Die älteren Jungen schliefen im ersten Stock und alle über sechzehn waren in einem anderen Gebäude untergebracht. Die Älteren waren die Herrscher der Stuben. Alle Kadetten hatten Angst davor umzuziehen, da sie dann wieder die Jüngeren und damit die Opfer sein würden. Sergej und Andrej beschlossen, gut aufeinander aufzupassen.
    Vom Leben vor seiner Ankunft hatte Sergej nur verschwommene Erinnerungen. Es schien ihm, als wäre er in einer gänzlich anderen Welt gewesen. Manchmal tauchten in seiner Erinnerung Bilder von einer dicken Frau mit weichen Armen und einem Mann mit einem Kranz aus weißem Haar auf. Sergej fragte sich oft, wer sie wohl gewesen waren. Er fragte sich überhaupt viele Dinge.
    An der Wand des Klassenzimmers hingen Karten von Mütterchen Russland und anderen Ländern. Mit den Fingern war Sergej auf den Karten und auf dem Globus auf dem Pult des Klassenlehrers herumgewandert und hatte die Umrisse blauer Ozeane und gelber, grüner und roter Länder nachgezeichnet. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen,

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