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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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seinem Versteck und die beiden trafen sich dort so oft, wie es ihre Pflichten erlaubten. Hier wo sie niemand sehen konnte, machten sie sich über die Erwachsenen lustig, lachten und Konstantin las ihr aus seinem Lieblingsbuch vor. Hier zeigte er ihr auch das Alphabet und brachte ihr bei, wie man die Zeichen ausspricht und schreibt.
     
    Am Vorabend des Jahrhundertwechsels machten sich in der Siedlung Unruhe und Furcht breit. Viele der Männer, deren religiöse Erziehung mittlerweile zu einem kindischen Aberglauben degeneriert war, sahen den Anbruch des Jüngsten Gerichts kommen und hatten Angst um ihre Seelen. Obwohl sie sich immer wieder einredeten, ihre Überfälle seien Gottes Wille, suchten die Geister der Verstorbenen sie in ihren Träumen heim. Nur Korolew schlief gut - entweder weil er sich zu mächtig fühlte, um vor Gott Angst zu haben, oder weil ihn das alles einfach nicht interessierte.
    Der Ataman war weiterhin unberechenbar. Wenn man ihm gehorchte und seine Befehle unverzüglich ausführte, konnte er ziemlich großzügig, ja sogar freundlich sein. Aber wenn man ihn hinterging, nahm es mit einem früher oder später immer ein böses Ende. Trotz seiner Launenhaftigkeit war Sakoljew alles andere als faul. Er erwarb sich immer wieder von neuem den Respekt seiner Männer, weil er härter als alle anderen trainierte. Aber die wahre Quelle seiner Macht waren nicht Kraft und Schnelligkeit, sondern seine Fähigkeit, die Männer immer wieder zu verunsichern. Korolew war brutaler, aber niemand war unberechenbarer als der Ataman. Keiner der Männer, Frauen und Kinder konnte vorhersehen, was Sakoljew als Nächstes tun würde.
    Vor ein paar Monaten hatte sich einer der Männer namens Brukowski betrunken und sich in seinem Rausch darüber beklagt, wie seltsam der Ataman in den letzten Jahren geworden war. Er meinte, er könne die Truppe ebenso gut anführen wie Sakoljew - vielleicht ja sogar besser. Heimlich hoffte er, dass ihm die anderen zustimmen würden, aber niemand sagte ein Wort. Alle hielten die Köpfe gesenkt und starrten zu Boden. Wenn sie so taten, als hätten sie nichts gehört, würden sie die Rache des Atamans nicht zu fürchten haben. Sakoljew, der seine Augen und Ohren überall hatte, erfuhr von dem Vorfall. Da es hieß, er könne die Gedanken anderer Menschen lesen, hatten seine Männer ständig das Gefühl überwacht zu werden.
    Kurz darauf wurde Konstantin von Vater Dimitri gestattet, als Helfer mit auf eine Routinepatrouille zu reiten. Er war dabei, als der Ataman und zwölf seiner Männer um einen großen Tisch herum saßen, aßen und tranken. Ein offensichtlich gut gelaunter Sakoljew stand auf und sagte: »Sitzen wir hier nicht wie Christus und die zwölf Jünger beim Abendmahl?« Er blickte ins Leere, bevor er fortfuhr: »Nur werde ich nicht so bald gekreuzigt werden.« Dann sah er sich um und blickte jedem der Männer in die Augen.
    Diese erhoben schnell die Gläser und brachten Trinksprüche auf den Ataman aus, während Sakoljew um den Tisch herumging und anerkennend die Hände auf die Schultern seiner Männer legte. Als er zu Brukowski kam, der gerade einen tiefen Zug aus der Wodkaflasche genommen hatte, ergriff er blitzschnell dessen Unterkiefer, riss den Kopf herum und schnitt ihm mit einer einzigen Bewegung die Kehle durch. Das Messer ging so tief, dass mit dem Blut auch der Wodka hervorgeschossen kam. Brukowski, der dem Ataman fast zwölf Jahre lang treu gedient hatte, fiel mit dem Gesicht auf die Tischplatte und war auf der Stelle tot.
    Der Ataman sah in die bleich gewordenen Gesichter seiner Männer, die sich darum bemühten, die Fassung zu bewahren, was den meisten allerdings nur schlecht gelang. Er warf den leblosen Körper zu Boden, setzte sich auf den frei gewordenen Stuhl und aß die angefangene Mahlzeit von Brukowskis Teller auf. Nachdenklich sagte er: »Wir wollen doch keine Nahrung verschwenden, oder? Wer weiß, wann wir wieder etwas zu essen bekommen.«
    Obwohl man sich im Dorf wegen des Verhaltens des Atamans - und wegen seines Geisteszustands - immer mehr Sorgen machte, wagte es nach diesem Vorfall niemand mehr, ihn öffentlich zu kritisieren. Noch lange nach diesem Abend hüteten die Leute ihre Zunge und sprachen nur noch im Flüsterton miteinander.
    Selbst Korolew war vor dem Zorn Sakoljews nicht mehr sicher. Eines Abends im Februar traf er den Riesen, der gerade von der Jagd zurückgekommen war, in der Scheune. Sakoljew sah sich um, um sicherzugehen, dass sie niemand

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