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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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trittst, der dich von hinten angreift. Dabei bewegt und dreht sich dein Körper ununterbrochen, sodass deine Gegner denken werden, sie hätten es mit einem achtarmigen Kraken zu tun.«
    Dann erinnerte er Sergej daran, dass er es - ganz gleich, wie viele Männer ihn auch umkreisen würden - immer nur mit einem Angreifer zu einer Zeit zu tun haben würde. »Wenn dich zehn oder zwanzig Männer angreifen, behindern sich die meisten nur gegenseitig. Von den drei oder vier, die dir wirklich gefährlich werden können, solltest du immer den angreifen, der dir am nächsten ist. Warte niemals darauf, bis er dich angreift.«
    An jenem Tag brachte ihm Seraphim bei, wie man erst mit zwei Steinen jongliert und dann mit dreien. »Gegen mehrere Gegner zu kämpfen ist ganz ähnlich wie Jonglieren. Du wirfst die Gegenstände einen nach dem anderen in die Luft, in schneller Abfolge. Ein Unterschied besteht aber doch: Wenn deine Aufmerksamkeit beim Jonglieren nachlässt, fällt ein Stein zu Boden. Wenn deine Aufmerksamkeit bei einem Kampf nachlässt, verlierst du dein Leben. Also sei entspannt, aufmerksam und bleibe in ständiger Bewegung. Befasse dich erst mit einem Mann, dann mit dem nächsten und dem übernächsten. Lass deinen Geist weit sein und deine Bewegungen fließend. Bewahre dir den Geist eines Kriegers und ein friedvolles Herz.«
     
    Obwohl Sergej ursprünglich nach Walaam gekommen war, um Kämpfen zu lernen, hatte er - wie Seraphim auch - andere Verpflichtungen, die den Fortbestand der Einsiedelei sicherten. Seraphim war ständig damit beschäftigt, den Mönchen spirituelle Anleitung zu geben oder Kranke zu heilen. Aber an jedem Nachmittag trafen sich die beiden zum Training.
    So frustrierend diese Stunden auch waren, Sergej freute sich doch auf jede einzelne, denn er wusste nie, womit ihn Seraphim überraschen würde. Ein paar Wochen lang zeigte ihm der alte Mönch zum Beispiel, wie man Messer wirft - mit links und rechts, überhand und unterhand, stehend und liegend, laufend und rollend.
    Dann lernte Sergej, wie man Druck auf bestimmte Punkte am Körper ausübt, um Arme oder Beine zu lähmen, wie man mit einer schnellen, peitschenden Drehbewegung zwei oder drei Männer gleichzeitig trifft, oder wie man den Schlag oder den Tritt eines Gegners so umlenkt, dass er einen der anderen Angreifer trifft.
    Einmal fiel Seraphim auf, dass Sergej wie gebannt auf eine Axt starrte, die er zum Schlag erhoben hielt. »Entspanne deine Augen«, wies er ihn zurecht. »Sei dir stets deiner Umgebung bewusst. Richte deinen Blick nicht auf die Arme, Beine, Augen oder Waffen des Gegners, denn das schränkt deine Reaktionsmöglichkeiten nur ein. Ein weicher, offener Blick erweitert nicht nur dein Bewusstsein, sondern vermittelt dem Geist deines Gegner auch den Eindruck, dass er nichts weiter als eine vorübergehende Störung darstellt, die in wenigen Augenblicken behoben sein wird. Entspanne deine Augen, richte deinen Blick über und hinter den Gegner, als ob dich sein Angriff nicht besonders kümmern würde, aber bleibe wachsam und aufmerksam.«
    »Ist das denn überhaupt möglich?«, fragte Sergej.
    »Das wirst du bald selbst herausfinden«, versicherte ihm Seraphim.
    Im Lauf der nächsten Monate erkannte Sergej mehr und mehr, dass er seine Pflichten, seinen Dienst an den Brüdern und seine Meditationen nicht mehr als störend und ablenkend empfand, sondern dass er anfing, sie als Teil seines Trainings zu begreifen. Das Kampftraining und sein übriges Leben verschmolzen zu einem unteilbaren Ganzen. Ohne dass er es bisher bemerkt hatte, war aus dem Kampftraining ein Lebenstraining geworden.
    »Und wie könnte es auch anders sein?«, kommentierte Seraphim, als Sergej ihn darauf ansprach. »Ich werde doch meine Zeit nicht damit verschwenden, dir lediglich beizubringen, wie man Leute zusammenschlägt. Unsere gemeinsame Zeit hat mehr mit dem Leben als mit dem Kämpfen zu tun. Ich hoffe immer noch, dass du einen Weg findest, deinen Rachedurst zu überwinden, Socrates.«
    Sergej gab keine Antwort, denn es gab nichts, was er darauf hätte erwidern können.
     
    Nach vier Jahren begannen sich die Auswirkungen von Sergejs Training immer stärker zu zeigen. Weil Seraphim ihm in jeder einzelnen Stunde alles abverlangte, fiel ihm dies im Kampftraining nicht besonders auf, dafür aber umso mehr im täglichen Leben. Beim Fegen des Flures, beim Öffnen einer Tür, beim Waschen der Töpfe und des Geschirrs bewegte er sich viel leichter und eleganter. Sein

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