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Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker

Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker

Titel: Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne U. Wiemer
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weitergehen, lauschen, die Augen offen halten und hoffen, daß ihm der Zufall half.
    Zweimal hörte er Schritte und flüchtete sich in Nischen, deren Zweck ihm unklar war.
    Wachmänner marschierten so dicht an ihm vorbei, daß er die Ärmel ihrer schwarzen Uniformen hätte berühren können. Die Angst lähmte ihn. Zu spät fiel ihm ein, daß er die Männer hätte überrumpeln und ihre Waffen an sich bringen sollen. Aber er fürchtete diese Waffen, er kannte sie nicht und wußte im Grunde, daß sie ihm keine Hilfe gewesen wären.
    Noch einmal ließ er sich höher tragen - in dem verzweifelten Bemühen, diesen endlosen Fluren zu entrinnen, die nirgendwohin führten. Als er den Transportschacht verließ, hörte er Geräusche: rhythmisches Ticken, ein hohes, kaum wahrnehmbares Singen und Vibrieren, das den vagen Eindruck von rastloser Bewegung weckte. Auch das Licht hatte sich verändert. Der weiße, schimmernde Gang unterschied sich in nichts von all den anderen, aber dort, wo er mündete, ahnten Jarlons geschärfte Sinne die Weite eines ungewöhnlich großen Raums.
    Er zögerte nicht.
    Mechanisch nahm er Einzelheiten wahr. Der Flur endete auf einer Galerie, die sich um das Rund einer riesigen Halle herumzog, Gitter aus strahlendem Licht bildeten die Decke, zwei weitere umlaufende Galerien befanden sich zwischen ihm und dem Boden. Gläserne Schächte sorgten für die Verbindung. Tief unten bewegten sich Transportbänder, wie sie Jarlon schon in der Stadt Kadnos gesehen hatte. Alle diese Bänder liefen auf eine tiefe, düstere Nische zu, die ihm wie ein klaffender Höllenrachen erschien.
    Eine gigantische Falle!
    Jarlon hätte nicht zu sagen gewußt, was den Eindruck hervorrief, aber er war sicher, daß dieses schwarze Tor Tod und Vernichtung bedeutete. Er wäre dessen auch sicher gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, daß die Nische zu einem Tunnel führte, der das »Haus des Schlafs« mit der Klinik von Kadnos verband, dem Sitz der Medizinischen Fakultät, die niemanden sterben ließ, ohne ihn zuvor für die Wissenschaft auszubeuten. Jarlon von Mornag kannte nur das Gesetz seiner Väter, das bestimmte, die Toten der reinigenden Flamme des Scheiterhaufens zu übergeben. Die Menschen des Mars hatten den Tod seines Mythos und seiner Würde entkleidet. Die emsigen Laufbänder transportierten gleichgültiges Fleisch, zwangen dem Sterben ihren kalten Mechanismus auf. Jarlon fühlte sich bis ins Mark erschauern.
    Als er an die Brüstung der Galerie trat, sah er die breite Rampe tief unter sich.
    Menschen!
    Reglose, in einen rätselhaften Bann geschlagene Menschen, die nebeneinander standen, ins Leere blickten und Befehle erwarteten. Gillons Brüder! Tanit und Katalin! Gerinth mit dem alten Langschwert an der Seite, der alle um Haupteslänge überragte.
    Sie schwiegen.
    Sie würden willenlos in den Tod gehen. Oder in ein Schicksal, das schlimmer als der Tod war.
    Schon betraten die ersten das glitzernde Band, das sie dem Verderben entgegentragen würde. Sie waren nicht sie selbst. Sie waren Gefangene eines fremden Willens. Jarlon begriff, daß er keine Sekunde mehr verlieren durfte.
    Er lief.
    Vier, fünf lautlose Schritte über die Galerie, dann öffnete sich der gläserne Schacht, die Plattform trug ihn nach unten. Erst jetzt entdeckte er die schwarzen Wachmänner, die an den Türen postiert waren und mit leiser Furcht in den Augen die marionettenhaften Bewegungen ihrer Opfer beobachteten. Sahen sie ihn nicht? Schliefen sie alle? Jarlon zog das Schwert aus der Scheide. Endlose Sekunden war er hilflos zwischen den Glaswänden gefangen, doch als er tief unten aus dem Schacht stolperte, hatten ihn die Wächter immer noch nicht gesehen.
    Dicht neben der gewölbten Glaswand blieb er stehen und blickte sich um.
    Die graue Rampe war fast leer. Dahinter konnte er jetzt die Tür erkennen, aus der die Opfer gekommen waren: schweigend, gehorsam, von körperlosen Stimmen geführt, deren immer gleichen Anweisungen schon seit Jahrzehnten Kranke und Alte, Selbstmörder und Verurteilte durch die gigantische Maschinerie des Todes begleiteten. Für die Entflohenen aus dem Mondstein war der Weg nur kurz gewesen. Jarlon sah, daß man ihnen nicht einmal die Waffen abgenommen hatte. Als einer der letzten betrat Gerinth das schimmernde Band. Hardan folgte ihm, dann Katalin. Einen Augenblick überwältigte den einsamen jungen Mann neben dem gläsernen Schacht die Gewißheit, daß es nichts gab, was er tun konnte. Dann riß er sich zusammen und lief

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