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Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker

Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker

Titel: Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne U. Wiemer
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mit der tiefen Brandwunde an der Schulter und den blutigen Striemen, die die Peitschen der Priester zurückgelassen hatten, genügte, um ihn an den Rand der Hysterie zu treiben. Der Liquidationschef hatte dem Staat stets pflichtgetreu gedient. Er hielt es für selbstverständlich, daß der einzelne bereit sein mußte, notfalls sein Leben zum Wohle der Allgemeinheit zu geben. Aber er kannte den Tod nur als Fließband-Produkt: Ein mechanisiertes Sterben ohne Schmerz, ohne Aufbegehren, ohne Schrecken. Er hatte nie Blut gesehen, nie Angst gefühlt und nie das kalte, kreatürliche Grauen, das ihn bei der Vorstellung erfüllte, dieses schreckliche Schwert könne auf ihn niederfahren und sich in sein Fleisch bohren.
    Nein, er wollte nicht sterben.
    Nicht so! Alles, nur das nicht! Das Entsetzen verwirrte seine Gedanken, ließ nur die Furcht übrig. Die Barbaren würden ihn abschlachten, wenn er ihnen nicht zur Flucht verhalf, also mußte er dafür sorgen, daß sie davonkamen und nicht dem Vollzug in die Hände fielen.
    »Die Alpha-Ebene«, krächzte er. »Niemand wird damit rechnen. Es ist der einzige Bereich, den der Vollzug nicht abriegeln kann.«
    »Und was ist es?«
    »Tunnel. Ein System unterirdischer Tunnel für die Transport-Roboter.«
    Charru fragte nicht, was das Wort »Roboter« bedeutete.
    »Wohin führen sie?« wollte er wissen.
    »Überall hin. Nach Kadnos, zu den Zuchtanstalten, in die Magazine der Versorgungszentren und... und nach Alt-Kadnos. «
    »Die leeren Häuser am Kanal?«
    »Ja«
    »Gut«, sagte Charru ruhig. »Bring uns dorthin. Aber denk daran, daß du als erster stirbst, wenn du uns eurer Vollzugspolizei in die Hände spielst. Camelo, du sorgst dafür, daß keine Waffen zurückbleiben.«
    »Aye.«
    Niemand widersprach, obwohl ihnen - soweit sie schon wieder klar denken konnten - sehr genau bewußt war, daß ihnen jenes Denkmal aus der marsianischen Vergangenheit keine dauerhafte Zuflucht bieten konnte. Aber sie mußten hier heraus, bevor sie eingekreist und niedergemacht wurden, nichts anderes zählte. Karstein packte den Liquidationschef beim Arm und sorgte dafür, daß er die blanke Schwertklinge vor Augen hatte. Der kleine, hagere Mann stolperte vorwärts, schlotternd vor Furcht. Die anderen folgten ihm: Frauen mit starren Augen, Männer, die bewußtlose Kinder auf den Armen trugen, die meisten noch benommen und verkrampft von der Anstrengung, gegen das schleichende Gift zu kämpfen, das immer wieder ihren Willen zu lähmen drohte.
    Die Waffen waren an diejenigen verteilt worden, die nichts von der Gasdroge eingeatmet hatten.
    Charru und Gillon von Tareth sicherten die Spitze des Zugs. Kormak, Camelo und Jarlon bildeten die Nachhut und achteten darauf, daß niemand zurückblieb. Und vor ihnen berichtete der bärtige Hardan im Flüsterton, welche Rolle der Junge bei ihrer Befreiung gespielt hatte; Jarlon, den diese Stunde der endlosen Suche und des einsamen Kampfs zum Mann gemacht hatte.
    Der Weg war kurz. Vor einer Nische blieb der Liquidationschef stehen und berührte mit zitternden Fingern eine kaum sichtbare Vertiefung im grauen Einheitsbaustoff. An der Stirnwand öffnete sich eine Tür, dahinter bewegten sich die Plattformen eines undurchsichtigen, finsteren Transportschachts.
    »Wir zuerst.«
    Es war Camelo, der Charru einfach zur Seite schob und neben Karstein und dem Gefangenen die Plattform betrat. Mehr als drei Mann hatten keinen Platz. Charru lächelte matt. Er glaubte nicht, daß sie in eine Falle gehen würden. Schweigend wartete er und betrat als letzter eine der Plattformen, zusammen mit seinem Bruder.
    Beide hielten ein Lasergewehr, den Lauf nach unten gerichtet. Jarlons junges Gesicht war blaß, das dunkle, widerspenstige Haar hing ihm wirr in die Stirn. In einem Impuls legte ihm Charru die Hand auf die Schulter.
    »Du allein hast uns gerettet. Unser Vater wäre stolz auf dich gewesen.«
    Jarlons Augen leuchteten auf. »Aber es wäre alles umsonst gewesen, wenn du nicht...«
    »Das ist immer so. Die Stämme werden nicht sterben, solange sie zusammenhalten. Selbst die Priester haben es begriffen.«
    »Glaubst du? Bar Nergal ist ein verräterischer Schuft...«
    Er sprach nicht weiter.
    Sie waren angekommen, verließen die Plattform, betraten ein niedriges Gewölbe, in dem die Lichtgitter an der Decke nur schwach glommen. So ähnlich hatte es in der Pumpstation ausgesehen, die dafür sorgte, daß das Wasser des Schwarzen Flusses aus den Felsen ins Tal des Todes strömte, im kochenden

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