Söhne der Erde 10 - Aufbruch Ins Gestern
ungerührt ihrem Schicksal überlassen hatten. Ich habe Kinder gesehen, die der Vernichtung all ihrer Angehörigen zuschauen mußten. Verkrüppelte Kinder, die wir hier in Kadnos nicht hätten aufwachsen lassen. Und die Kinder der Terraner, über deren Lebensrecht man sich hier in diesem Raum mit einem Knopfdruck, einem Fingerschnippen hinwegsetzt... « Er machte eine Pause und bezwang die Erregung, die ihn mitgerissen hatte. »Ich habe gesehen, daß der Staat, dessen Bürger ich bin, im Begriff ist, ein grausames Verbrechen zu begehen«, sagte er hart.
Jessardin hatte schweigend zugehört. Sein Gesicht blieb unbewegt.
»Und deshalb wollten Sie den Terranern helfen, das alte Raumschiff wieder instand zu setzen?«
Kerr lehnte sich zurück. In der Bewegung, mit der er sich das Haar aus der Stirn strich, lag jetzt eine eigentümliche Ruhe.
»Das wollte ich nicht nur, das habe ich tatsächlich getan«, sagte er.
Jessardin stutzte.
»Was heißt tatsächlich?« fragte er scharf.
Kerr zuckte die Achseln. »Es heißt, daß die »Terra« starten kann Und sie wird starten. Heute!«
»Das ist unmöglich, Helder«, fuhr der Präsident auf.
»Es ist Tatsache. Und es war deshalb möglich, weil das, was ich über die Fremden in der Sonnenstadt erzählt habe, der Wahrheit entspricht.« Kerrs Stimme wurde beschwörend. »Ich habe gesehen, daß sie die Zeit verändern können. Ich habe die Vergangenheit und die Zukunft gesehen, ich...«
Weiter kam er nicht.
Mit einem gedämpften Surren glitt hinter ihm die Tür auseinander. Simon Jessardin sah an ihm vorbei - und wurde schlagartig fahlweiß.
»Charru!« stieß er hervor.
Im Reflex zuckte seine Rechte vor, um einen Alarm auszulösen. Aber Helder Kerr war schneller.
Sekundenlang starrte der Präsident auf die dunkel gebräunte Hand, die sein Gelenk umklammerte und ihn in den Sitz zurückdrückte. Langsam wanderte sein Blick zu dem entschlossenen Gesicht hoch. Bis zu dieser Sekunde hatte er nicht begriffen, wie tief die Veränderung des anderen wirklich reichte.
»Helder«, flüsterte er. »Sie sind Bürger der Vereinigten Planeten. Das ist Hochverrat. «
Kerr nickte. Sein Griff lockerte sich nicht.
»Ich weiß«, sagte er bitter. »Und ich werde nicht einmal davonlaufen. Ich werde auf dem Mars bleiben und mich den Behörden stellen. Weil ich Bürger der Vereinigten Planeten bin. Und weil ich hier noch etwas zu tun habe, das niemand sonst tun kann. «
*
Charru hatte den letzten Worten schweigend zugehört.
Worte, die ihn trafen, weil er ihre Konsequenzen kannte. Aber er kannte auch Kerrs Gründe und wußte, daß er an der Stelle des Marsianers die gleiche Entscheidung getroffen hätte.
Jetzt blieb keine Zeit, um darüber nachzugrübeln.
Mit ein paar Schritten umrundete Charru den Schreibtisch, zog Jessardin hoch und schob ihn gegen die Wand. Der schwarzhaarige Terraner wußte, daß sich dieser Mann auch von einem drohenden Lasergewehr nicht davon abhalten lassen würde, Alarm zu geben, sobald er die Chance dazu bekam. Der Präsident der Vereinigten Planeten hatte schon bewiesen, daß er auf sein eigenes Leben nicht mehr Rücksicht nahm als auf das jedes anderen Bürgers.
Aber diese anderen Bürger würden Rücksicht auf sein Leben nehmen.
Er wußte es. Die Blässe des hageren Asketengesichtes verriet, daß er nur Sekunden gebraucht hatte, um die Situation zu erfassen.
Auch Helder Kerr war blaß unter der Sonnenbräune. Einen Herzschlag lang blieb er stehen und sah dem großen, schlanken Mann mit dem silbernen Haar in die Augen.
»Es tut mir leid, mein Präsident«, sagte er leise. »Ich kann nicht anders handeln. «
Jessardin schwieg.
Helder Kerr schwang hastig herum und verschwand in dem Nebenraum, um Gillon dabei zu helfen, die vier Wachmänner zu fesseln. Charru wandte sich dem Präsidenten zu.
»Sie werden uns begleiten. Wir lassen Sie frei, bevor wir mit der »Terra« starten Wenn unsere Bedingungen erfüllt werden, geschieht Ihnen nichts. «
Jessardin schüttelte den Kopf. Eine mehr verwirrte als ablehnende Geste.
»Und wenn sie nicht erfüllt werden?«
»Man wird sie erfüllen, das wissen Sie. - Gillon?«
Der rothaarige Tarether erschien in der Tür. Er hatte die Kleidung mit einem der Wachmänner getauscht. Die schwarze Uniform verlieh seiner Gestalt etwas Düsteres.
»Die anderen?« fragte er knapp.
»Sie sind in der Klinik?«
»Ja.«
Charru zögerte.
Er dachte an seinen Bruder. An Erein, Konan, Hasco und all die anderen. Ein winziges,
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