Söhne der Erde 10 - Aufbruch Ins Gestern
aufrichtig, daß sich Kerrs Magenmuskeln zusammenzogen. »Wahrscheinlich wünschen Sie sich jetzt vor allem Ruhe, aber...«
»Ich stehe selbstverständlich zur Verfügung, mein Präsident«, sagte Kerr förmlich. »Mir geht es gut. Ich bin anständig behandelt worden.« Er zuckte die Achseln. »Anständiger, als ich eigentlich hätte erwarten dürfen.«
Jessardin nickte. »Sie kennen die Pläne der Barbaren?«
»Nein, mein Präsident. Sie haben mich mitgeschleppt, weil sie sich eine Chance erhofften, mit meiner Hilfe in die Stadt einzudringen. Das ganze ist ein Verzweiflungsunternehmen. Sie können doch nicht in die Stadt eindringen, oder?«
»Nein, das können sie nicht. Wo ist ihr Schlupfwinkel, Helder?«
Kerr hob die Schultern. »Man hat mir fast ständig die Augen verbunden. «
»Tatsächlich?« Einen Moment lang zeigte das schmale asketische Gesicht unter dem Silberhaar einen Ausdruck, den Kerr nicht zu deuten wußte. »Ist Lara Nord bei den Terranern, Helder?«
»Ja.« Dieser Punkt ließ sich nicht verschleiern. Kerr wartete auf die Frage, ob Lara gefangengehalten werde, doch diese Frage blieb aus.
»Lassen wir das alles für den Augenblick einmal beiseite, Helder«, sagte Simon Jessardin gedehnt. »Mich interessiert momentan in erster Linie die Frage, was in der Sonnenstadt geschehen ist. Sie waren dort, nicht wahr?«
» Ja«, nickte Kerr. »Ich war dort. «
»In diesem - Labyrinth, von dem der Überläufer sprach?«
»Ja.« Kerr fragte sich flüchtig, was aus Lyrrios, dem Priester, geworden sein mochte. Wahrscheinlich war er längst liquidiert worden.
»Was war es, Ihrer Meinung nach? Ein Höhlensystem?«
Kerr schüttelte den Kopf.
Für einen kurzen Moment ließ die krampfhafte Spannung in seinem Innern nach. Er dachte an die Herren der Zeit, die ihm einen Blick in die fernste Zukunft des Mars geöffnet hatten, den Blick auf eine Katastrophe, die er verhindern mußte. Es würde schwer sein, unendlich schwer. Und hier und jetzt konnte er nicht damit beginnen, konnte er höchstens Andeutungen machen.
»Eine hochtechnisierte unterirdische Anlage«, sagte er langsam. »Errichtet von einer fremden raumfahrenden Rasse, die älter ist als die Menschheit. Die sich mit dem Mittel der Ent- und Rematerialisierung im Raum bewegt und die sich auch in der vierten Dimension, der Zeit, bewegen kann. «
Zwei Sekunden lang blieb es still.
In den Zügen des Präsidenten malte sich unverhüllte Verblüffung. Dann hob er mit einem Anflug von Ungeduld die Brauen. »Das ist ein Scherz, Helder. «
»Es ist kein Scherz. Ich habe nicht geträumt, und ich bin auch keinen Halluzinationen erlegen. «
»Sie wären nicht der einzige, dem das in der Umgebung der Sonnenstadt passiert ist. Eine Wirkung der unbekannten Strahlen, nehme ich an.«
Kerr schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, mein Präsident. Was der Vollzug gesehen hat, waren keine Halluzinationen. Es war eine Zeitverschiebung. «
Diesmal dauerte das Schweigen länger.
Ein, eigentümlich lastendes Schweigen, das Helder Kerrs Kopfhaut kribbeln ließ. Er spürte, daß sein Gegenüber ihm nicht glaubte. Nicht nur, weil die Worte so unwahrscheinlich klangen, denn Jessardin mußte inzwischen wissen, daß sich in der Sonnenstadt tatsächlich Unwahrscheinliches ereignet hatte. Da war noch ein anderer Grund...
Mit einer ruhigen Bewegung beugte sich der Präsident vor und schaltete den Kommunikator ein. Seine Stimme klang kühl und ausdruckslos: »Bitten Sie Jom Kirrand, mich in zehn Minuten in meinem Büro aufzusuchen. «
Kerr preßte die Lippen zusammen. Es kostete ihn Mühe, nicht zusammenzuzucken. Er begriff plötzlich, daß nicht mehr viel Zeit blieb.
Simon Jessardin lehnte sich zurück und legte in einer charat teristischen Geste die Fingerspitzen gegeneinander.
»Und jetzt, Helder«, sagte er sehr ruhig, »möchte ich gern die Wahrheit hören. «
*
Der zweite Wächter stieß einen erstickten Schrei aus, bevor er über dem ersten Mann zusammenbrach, aber Charru glaubt nicht, daß das Geräusch durch die geschlossenen Türen drin gen konnte.
Sekundenlang blieb er lauschend stehen, leicht geduckt, des funkelnden Dolch in der Faust. Nichts rührte sich. Nur die Transportbänder erfüllten die Luft mit ihrem steten, kaum wahrnehmbaren Surren. Charru atmete aus und bückte sich nach einem der Lasergewehre. Ungeduldig warf er das lang schwarze Haar zurück, weil der marsianische Anzug sein Bewegungen behinderte. Er war nützlich gewesen, um bis
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