Söhne der Erde 16 - Der Riß In Der Welt
sich nur allmählich. Schon vorher hatten ihm seine geschärften Sinne verraten, daß er allein war. Allein in einem großen, hallenden Raum - einer Grotte, wie ihm wenig später klar wurde. Grünes Wasser füllte sie aus, breite Felsenrampen verliefen ringsum, und in der gewölbten Decke klafften Risse und Löcher, durch die das Sonnenlicht wie mit gebündelten goldenen Pfeilen drang.
Als ein paar Minuten später Camelo neben ihm auftauchte, hatte Charru bereits die merkwürdigen gewölbten Nischen in den Felswänden entdeckt.
Unregelmäßige, in Höhe und Tiefe unterschiedliche Nischen - und doch folgten alle ungefähr der gleichen Form, als seien natürliche Höhlen für einen bestimmten Zweck verändert und zurechtgehauen worden. Camelos Blick ging in die Runde. Mit langsamen, mechanischen Schwimmzügen hielt er sich über Wasser. Seine Augen wurden eng.
»Wohnhöhlen,« murmelte er in einem Tonfall zwischen Feststellung und Frage.
»Möglich. Wenn ja, müßten wir Hinweise darauf finden. Werkzeuge, zum Beispiel.«
»Aye. Suchen wir.«
Camelo schwamm bereits auf den Rand der umlaufenden Felsenrampe zu. Wasser perlte über seinen Körper, als er sich an der Kante hochzog. Charru mußte grinsen, weil ihm auffiel, daß die einzige Vorsichtsmaßnahme seines Blutsbruders darin bestanden hatte, Gerinth seine kostbare Grasharfe anzuvertrauen.
Schwerter und Jagdmesser trugen sie beide noch am Gürtel. Charru fragte sich, ob die fremden Wasserwesen diese Dinge als Waffen erkennen würden. Wahrscheinlich, da sie Werkzeuge kannten und Stein zu bearbeiten verstanden. Selbst die friedlichen goldenen Geschöpfe in den Wäldern Afrikas hatten Waffen benutzt. Und hier gab es immerhin die gefährlichen Raubfische, die Lara Haie nannte.
Camelo war vor einer der gewölbten Nischen stehengeblieben. Charru trat neben ihn und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. Eine Wohnhöhle, kein Zweifel. Grünliche Netze hingen unter der Decke, Fischnetze vermutlich. In den Wänden gab es ein paar Vertiefungen, die an primitive Regale erinnerten. Die Werkzeuge, mit denen der Felsen bearbeitet worden war, bestanden aus einem anderen, härteren Gestein. Faustkeile, einfache messer- oder axtähnliche Gegenstände, dazu farbige Muscheln, die vielleicht als Schmuck dienen mochten. Die Wesen, die hier hausten, hatten das tierische Stadium längst hinter sich gelassen. Sie veränderten ihre Umwelt, gestalteten sie, machten sich zunutze, was die Natur ihnen bot. Nur ob man sich mit ihnen verständigen konnte, mußte sich noch herausstellen.
»Warum ausgerechnet hier?« fragte Camelo gedehnt. »Gegen die Haie bietet die Wasserrinne doch keine Sicherheit, oder?«
Charru zuckte die Achseln. Der gleiche Gedanke war ihm auch schon gekommen. Er fand keine Antwort. Gemeinsam durchsuchten sie auch noch die übrigen Nischen. Aber die unterschieden sich kaum von der ersten, und die Bewohner ließen sich nicht blicken.
»Irgendwo muß es weitergehen,« meinte Charru. »Ich habe eine Gestalt in dem Tümpel verschwinden sehen, wo Gerinth und Gillon warten. Wenn uns nicht ein Abzweig entgangen ist, kann das Wesen nur hierhergeschwommen sein.«
Sie schauten sich in der Grotte um, tauchten ein paarmal, aber sie konnten keinen weiteren Ausgang entdecken.
Schließlich warteten sie eine Weile, um wieder zu Atem zu kommen, pumpten ihre Lungen voll Luft und machten sich auf den Rückweg. Charru schwamm voran. Die Finsternis des überfluteten Gangs nahm ihn auf. Einmal glaubte er, einen Lichtreflex wahrzunehmen, den er auf dem Hinweg nicht bemerkt hatte. Das Wasser ringsum war dunkel, aber nicht mehr so völlig schwarz, daß er die Felswände nicht hätte wahrnehmen können. Er dachte an das Wesen, das er gesehen hatte. Es mußte tatsächlich noch einen zweiten Ausgang geben, einen weiteren Schlupfwinkel oder ...
Seine Hände stießen gegen etwas Festes.
Er spürte rauhe Fasern, zuckte instinktiv zurück und konnte nur mit Mühe den erschrockenen Ruf unterdrücken, der ihn seinen letzten Atem gekostet hätte. Ungläubig starrte er auf das stabile Netz, das den Weg versperrte. Camelo glitt neben ihn, das Gesicht ein fahles, verschwommenes Oval im Wasser. Beide griffen zu ihren Schwertern - und erkannten im nächsten Moment, daß es sinnlos war, das Hindernis zu zerhacken.
Da nämlich sahen sie jenseits des Netzes die schwarzen, unheilvollen Schatten der Haie und wußten, daß sie in der Falle saßen.
*
Pfeilschnell glitt das schlanke perlmuttschimmernde
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