Söhne der Erde 17 - Gefangene Der Zeit
weißt doch sonst immer alles! Besinn dich! Du behauptest doch immer, du kannst spüren, was geschieht!«
»Nein ... Bitte, laß mich, ich ...«
Charru hatte die Gruppe bereits erreicht. Die Angst um seinen Bruder und das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit ließen ihn heftiger reagieren als sonst. Hart packte er Dayel am Arm und riß ihn zurück.
Dayel schluckte. Er, der Junge aus dem Tempeltal, war tatsächlich fast noch ein Kind. Es hatte lange gedauert, bis er das Gefühl der Minderwertigkeit überwand, und es grenzte fast an ein Wunder, daß ausgerechnet zwischen ihm und Jarlon der Beginn einer Freundschaft keimte. Dayels Lippen zitterten. Aber er senkte nicht den Blick, als er den brennenden saphirblauen Augen begegnete.
»Wir haben Robin nur gefragt«, verteidigte er sich. »Sonst macht er uns immer mit seinen Ahnungen verrückt. Dann soll er jetzt auch ...«
»Unsinn!« sagte Charru scharf.
»Aber es ist wahr! Er kann es wenigstens versuchen. Er muß es versuchen!«
Die helle, zornige Stimme gehörte Cori, Indred von Dalarmes vierzehnjähriger Enkelin. Überrascht blickte Charru in das zarte, sonst so scheue Gesicht, in dem die hellen Augen jetzt kämpferisch blitzten. Neben ihr hatten Jerle Gordal und der fünfzehnjährige Brent Kjelland die Fäuste geballt. Charru erinnerte sich plötzlich, daß auch er und Camelo, Erein, Beryl, Brass und all die anderen in diesem Alter eine verschworene Gemeinschaft gewesen waren, in der jeder für den anderen durchs Feuer ging.
Er atmete aus und ließ Dayels Arm los.
»Ich mache mir ebenfalls Sorgen«, sagte er ruhiger. »Aber das ist kein Grund, es an jemand anderem auszulassen. - Robin?«
In den Augen des Blinden glitzerten Tränen.
»Es ist alles so seltsam«, murmelte er.
»Seltsam?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich spüre, daß hier etwas nicht stimmt, aber ich weiß nicht, ob es diese ... diese Sache mit der Zeit ist oder etwas anderes. Und ich kann Jarlon nicht finden! Ich weiß überhaupt nicht, wie Dayel darauf kommt, daß ich es könnte.«
»Ich bin darauf gekommen«, sagte Cori. »Weil ich finde, daß wir alles versuchen müssen. Alles ...«
Der zornige Funke in ihren Augen war erloschen.
Einen Moment lang konnte sich Charru den Ausdruck auf ihrem schmalen Gesicht nicht erklären, dann begriff er, daß sie für Jarlon mehr empfinden mußte als die übliche Kameradschaft unter gleichaltrigen jungen Leuten. Er lächelte flüchtig und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Wir werden alles versuchen, Cori. Aber ihr seht ja, daß Robin uns nicht helfen kann. Laßt ihn in Ruhe!«
Cori wandte sich heftig um und eilte davon.
Dayel folgte ihr, sichtlich besorgt und ebenso sichtlich verlegen. Charru nickte den anderen zu und schwang ebenfalls herum. Jarlon und Cori, dachte er flüchtig. Oder Dayel und Cori? Die immer gleichen Probleme und Konflikte, die den Halbwüchsigen lebenswichtig erschienen und über die sie später lächeln würden. Der Gedanke daran tat weh, weil er so grausam deutlich machte, daß Jarlons Leben gerade erst begonnen hatte ...
Charru grub die Zähne in die Unterlippe, bis er Blut schmeckte.
Inzwischen waren Camelo und Gerinth auf die gleiche Idee gekommen wie er und begannen bereits, die Kette zu organisieren, die systematisch die Insel durchkämmen sollte.
Sie brauchten mehr Menschen dazu als bisher, auch einen Teil der Frauen und älteren Kinder. Aber da jeder in Sicht- oder zumindest Rufweite seiner Nachbarn bleiben würde, bestand keine Gefahr.
Eine Viertelstunde später setzte sich die Kette in Bewegung.
Im Westen senkte sich allmählich die Sonne. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen und die Suche sinnlos machen. Die Menschen, die im Lager zurückgeblieben waren, blickten immer wieder zum Himmel.
Unruhe herrschte.
Und eine stumme, fast fieberhafte Tätigkeit, da jeder versuchte, sich auf irgendeine Art von dem quälenden Warten abzulenken.
Im Schatten des Palmengürtels ging Malin Kjelland zu Cris hinüber, der als Wachtposten eingeteilt war.
Sie hatte eine Wasserflasche und ein paar Früchte bei sich, die sie ihm schweigend reichte. Sein schmales Gesicht unter dem weißblonden, auffallend feinen Haar leuchtete auf, die schrägen Topasaugen umfaßten die schlanke Gestalt des Mädchens.
Malin lächelte ihm zu.
Sie hatte längst aufgehört, dieses katzenhafte Gesicht als fremdartig zu empfinden. Sie dachte auch nicht mehr daran, daß es Cris' Brüder gewesen waren, die das Fischervolk in dem Dorf am Meer
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