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Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk

Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk

Titel: Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne U. Wiemer
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beobachtete er die rotierende Scheibe, der er folgte. Er war seiner Sache sicher, hatte sein Urteil nach bestem Wissen abgegeben. Aber trotz allem spürte er ein dumpfes, nagendes Unbehagen, weil er wußte, daß auch er sich irren konnte.
    *
    Die Menschen am Strand blickten lange den sechs silbernen Punkten nach, die unter dem Sternenhimmel dahinzogen.
    Jar-Marlod, mit dem Rücken an einen Felsblock gelehnt, brütete finster vor sich hin. Ciran kauerte ein Stück von ihm entfernt, wo er eine scharfe Steinkante entdeckt hatte, über die er verbissen seine Handfesseln rieb. Ein sinnloses Unterfangen, da er ohnehin nicht von der Insel fliehen konnte. Aber Ciran wollte etwas tun, wollte sich rächen für die schmähliche Niederlage.
    Durch seine Schuld waren Bar Nergals Feinden sechs Beiboote in die Hände gefallen.
    Der Gedanke an die Strafe, die ihn zweifellos erwartete, ließ den Jungen schauern. Eine verdiente Strafe, sagte er sich. Mochte Jar-Marlod zittern und sich vielleicht sogar freuen, daß er dem Oberpriester nicht unter die Augen zu treten brauchte. Er, Ciran, würde jede Chance nutzen, seinen Gegnern zu entfliehen und in die tote Stadt zurückkehren.
    Er fuhr leicht zusammen, als ein Schatten über ihn fiel.
    Cris war es, der zögernd vor ihm stehenblieb. Eine Weile sahen sich die Brüder schweigend an. Cris biß sich auf die Lippen, als er das Blut bemerkte, das über Cirans Handgelenke lief.
    »Warum tust du das?« fragte er leise. »Es ist doch sinnlos.«
    Ciran antwortete nicht. Cris schüttelte hilflos den Kopf.
    »Hast du Durst?« fragte er. »Willst du etwas essen?«
    »Verräter!« spuckte der Jüngere verächtlich.
    »Das bin ich nicht!« fuhr Cris auf. »Wen sollte ich denn verraten haben? Deinen Gott, der keiner ist? Den Mann, der Chaka und Che auf dem Gewissen hat und so viele andere von unserem Volk?« Cris machte eine Pause und schluckte hart. »Ihr habt Che ermordet, euren eigenen Bruder«, flüsterte er. »Wie konntet ihr nur? Wie konntet ihr das tun, Ciran?«
    »Bar Nergal hat befohlen ...«
    »Er ist kein Gott. Ihr hättet ihm nicht zu gehorchen brauchen.«
    »Er ist ein Gott! Er muß ein Gott sein!«
    Cirans Augen flackerten. Cris las Haß und Verachtung in diesen Augen, aber auch eine Spur von Verzweiflung.
    »Warum?« fragte er. »Warum muß er ein Gott sein? Weil du dir sonst niemals verzeihen würdest, was du getan hast? Weil das Blut deines Bruders und das Blut von Yatturs Volk an deinen Händen klebt? Weil du mit dieser Schuld nicht leben könntest, wenn kein Gott da wäre, der sie dir abnimmt?«
    »Che hatte die Hand gegen Bar Nergal erhoben«, stieß der Junge hervor. »Yatturs Volk hatte Bar Nergals Feinde beherbergt und ...«
    »... und trotzdem weißt du im Grunde genau, daß er kein Gott ist. Du weißt es! Du tust mir leid, Ciran.«
    Der Junge schwieg. Sekundenlang ging sein Blick durch alles hindurch. Er sah wieder das explodierende Flugzeug vor sich, in dem Che starb. Er sah das brennende Fischerdorf, die schreienden, wehrlosen Menschen, Männer, Frauen und Kinder, die verzweifelt zu fliehen versuchten und dem tödlichen Bombenhagel doch nicht entgehen konnten. Er, Ciran, hatte eins der Flugzeuge gelenkt, hatte wieder und wieder den Schalter betätigt, hatte mit jedem Fingerdruck Tod und Verderben ausgelöst, ohne etwas dabei zu empfinden. Und jetzt sah er das Inferno manchmal in seinen Träumen, genauso wie er Che sah, dessen Augen ihn verfolgten.
    Für einen kurzen Moment begriff Ciran, daß sein Bruder recht hatte. Aber er begrub den Zweifel tief in sich und verschloß sein Inneres vor der Wahrheit, weil er wußte, daß er sie nicht ertragen hätte.
    *
    Schwarze Endlosigkeit: der Ozean, auf dem die Spiegelbilder der Sterne verschwammen gleich Quecksilbertropfen.
    Ein riesiger Kontinent, der einmal Afrika geheißen hatte und in dessen Herzen fremdartige goldene Geschöpfe in einer verseuchten Hölle lebten.
    Endlose Wüsten, fahl im Mondlicht. Berge und Flüsse, Wälder, über denen Nebel hingen, verschwimmende Bilder, die in gleichmäßigem Strom unter den Beibooten dahinzogen, die Sinne betäubten und das Gefühl für die unbegreifliche Geschwindigkeit verwischten, bis die ersten Gebirgszüge sich gleich unheilvollen Barrieren in den Himmel türmten.
    Gillon zog sein Fahrzeug abrupt nach oben in der Erkenntnis, daß die Berge dort ihre Flughöhe überragten.
    »Langsamer!« sagte Charru mit erzwungener Ruhe ins Mikrophon. »Fächert auseinander und geht höher! Vorsicht,

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