Söhne der Erde 20 - Durch die Hölle
deckte, die selbst für Lasergewehre schwer zu durchdringen war. Nur die Faust war zu sehen, mit der er das Mädchen an der Schulter festhielt. Und die freie Hand, die den Dolch umklammerte.
»Ich wußte es nicht«, stammelte Irnet. »Ich wußte es nicht ...«
Tränen liefen über ihre blassen Wangen. Der marsianische Arzt verkrampfte sich, war der Panik nahe.
»Einsteigen!« krächzte er. »Sofort, oder ...«
Lara starrte Gerinth an.
»Er hat das Kind«, sagte sie tonlos.
Der alte Mann schloß die Augen und öffnete sie wieder.
Ein Zucken lief über sein zerfurchtes Gesicht. Aber er brauchte nur Sekunden, um die Situation zu erfassen, um vor allem zu begreifen, was geschehen konnte, wenn sich jetzt Panik, Hysterie und Jähzorn Bahn brachen. Die Bewegung, mit der er die Rechte hob, wirkte völlig ruhig.
Sie galt den Männern, die auf das Beiboot zukamen und bei seiner Geste stehen blieben.
»Einsteigen!« forderte John Coradi mit einer Stimme, in der die fast unerträgliche Nervenanspannung vibrierte. »Niemandem geschieht etwas, wenn ihr uns starten laßt. Ich will hier nur Geiseln haben, bis alle meine Leute an Bord sind.«
»Das Schiff«, sagte Gerinth leise. »Es war also doch ein Schiff da.«
Lara nickte. Ihre Lippen zitterten.
»Dieser - Dreckskerl hier behauptet, daß dieses Schiff der »Solaris« und der Merkur-Fähre nichts anhaben könne. Ich weiß es nicht, Gerinth. Ich weiß es nicht ...«
Sekundenlang ging der Blick des alten Mannes ins Leere.
Er war es, der die Entscheidung treffen mußte. Eine Entscheidung, die mit dem ganzen Gewicht der Menschenleben auf ihm lastete, die vielleicht davon abhingen. Er konnte sich keinen Grund vorstellen, aus dem die Marsianer jetzt noch etwas anderes als höchstens ein Forschungsschiff zur Erde geschickt haben sollten. Er glaubte nicht, daß sie die Menschen hier in der Ebene oder die beiden Schiffe angreifen würden, die in wenigen Stunden landeten. Sicher war er seiner Sache nicht - es gab keine Sicherheit. Aber er sah das unbeherrschte Flackern in den Augen des weißhaarigen Arztes. Er hatte den zitternden, fast schrillen Klang von John Coradis Stimme gehört und wußte, daß dieser Mann zu allem fähig sein würde, wenn sein Plan zu scheitern drohte.
»Ihr werdet die Geiseln freilassen?« fragte der Älteste.
»Ja«, krächzte Coradi. »Wir wollen nur hier weg! Und jetzt schnell! Meine Leute warten. Wenn ihnen jemand ein Haar krümmt ...«
Er sprach die Drohung nicht aus.
Lara maß ihn mit einem Blick voll kalter Verachtung, als sie die ausklappbaren Leichtmetallstufen hinaufstieg. Jon Erec folgte ihr, mit ausdruckslosen Zügen und erloschenen Augen. Irnet, die Coradi in das Boot zurückgezogen hatte, schluchzte immer noch. Sie war getäuscht und ausgenutzt worden. Lara wußte es, aber an dem Zorn in ihrem Innern konnte das in diesen Sekunden nichts ändern.
Mit drei Schritten durchquerte sie das Boot und erreichte den umgebauten Sitz, in dem das Kind friedlich schlief, als sei nichts geschehen.
Der weißhaarige Arzt zitterte immer noch und lehnte sich schwer gegen eine Instrumentenkonsole. Durch die Kuppel konnte Lara die anderen Marsianer sehen, die ihr Zelt verlassen hatten und sich zögernd näherten. Sie hatten Angst. Wenn es hart auf hart ging, würde nichts sie schützen. Ob man sie umbrachte oder nicht - John Coradi hatte gar keine andere Wahl, als an seine eigene Haut zu denken. Sie wußten es, und die Terraner, die von allen Seiten herangekommen waren, wußten es auch.
Lara spannte sich, um sich im nächsten Moment wie eine Tigerin auf den »Solaris«-Kommandanten zu stürzen, aber sie brachte es nicht fertig.
Die Spitze des Dolchs berührte immer noch Irnets Kehle. Sie hatte Prügel verdient für ihre Dummheit, aber wenn Coradi die Nerven verlor, würde sie sterben. Lara biß die Zähne zusammen und sah den Marsianern entgegen, die mit blassen Gesichtern und weichen Knien das Boot betraten.
Einer der Techniker schloß hastig die Luke und riegelte sie von innen zu.
»Sind Sie sicher, daß man uns nicht verfolgen kann, Kommandant?« fragte er heiser.
»Ganz sicher! Schnell jetzt, checken Sie die Instrumente durch!«
Heiß fiel Lara ein, daß sie Gerinth nichts über die Behauptung des Arztes gesagt hatte, Coradi sei es gelungen, die restlichen Boote so zu manipulieren, daß sie nicht starten konnten.
Spielte es eine Rolle? Nein, wahrscheinlich nicht. Es wäre ohnehin sinnlos gewesen, die Marsianer zu verfolgen. Und die bloße
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