Söhne der Erde 21 - Kampf Um Merkur
zog sie an sich und drückte das Gesicht in ihr Haar.
Lange blieben sie so stehen.
Malin zitterte, weil sie die krampfhafte Beherrschung des jungen Mannes spürte, die Spannung seines Körpers, die stumme Weigerung, sich trösten zu lassen. Schließlich hob das Mädchen den Kopf und sah ihm in die Augen.
»Cris«, flüsterte sie. »Was willst du jetzt tun?«
»Tun?« echote er rauh. »Was kann ich schon tun?«
»Du glaubst, daß der Marsianer schuld ist, nicht wahr?«
»Er ist schuld!«
»Aber die anderen sagen ...«
Malin verstummte, weil sich Cris' Gesicht wie unter einem körperlichen Schmerz verzerrte. Der Junge biß die Zähne zusammen.
»Er ist schuld!« wiederholte er gepreßt. »Und ich werde es ihm heimzahlen! Ich schwöre dir, ich werde es ihm heimzahlen.«
Malin schloß die Augen und schauerte, als streiche ein Eiszapfen über ihren Rücken.
*
Die Frau verneigte sich.
Sie trug die Tunika der Verwaltung und war dafür zuständig, die Bewohner der Gäste-Suite im Regierungssitz zu bedienen. Um wen es sich dabei handelte, interessierte sie nicht. Allerdings verriet ihre Reaktion, daß man noch zuvor von ihr verlangt hatte, für eine Weile auf ein drei Monate altes Baby zu achten.
»Vielen Dank, Dreiundzwanzig.«
Lara lächelte, als sie den Raum verließ und das Laufband zum nächsten Transportschacht nahm. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Verwaltungsdienerin ihren Wunsch erfüllte, gab ihr einen Teil ihrer Sicherheit zurück. Sie war keine Gefangene, auch wenn sie sich so fühlte. In Kadnos hatte sie wieder alle Rechte einer Bürgerin, die mit der Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahrs in die Klasse I, Kategorie A, und damit in die Elite der Vereinigten Planeten eingestuft werden würde. Ihre ID-Plakette wies sie als Ärztin in der Spezialausbildung aus. Biochemie und Weltraum-Medizin hatte sie damals gewählt - einer der Gründe für ihre Verlobung mit dem stellvertretenden Kommandanten des marsianischen Raumhafens. Jetzt war Helder Kerr tot, und Lara würde, wenn überhaupt, einen anderen Ausbildungsgang einschlagen. Bionik ... Wissenschaftliche Methoden, um die vom Hitzetod bedrohte Erde vielleicht doch noch zu retten. Denn die Erde war die einzige Zukunft der Terraner, ihre letzte Hoffnung - falls es überhaupt noch eine Hoffnung gab.
Auf dem Dach des Regierungssitzes bekam Lara ohne Schwierigkeiten einen Jet. Der Blick des Chauffeurs verriet ihr, daß er wußte, wer sie war. Aber er hatte offenbar Anweisung, sie als normale Bürgerin zu behandeln. Lara hätte den Jet auch selbst fliegen können, doch sie benutzte den Chauffeur dazu, für sie herauszufinden, wo im weitläufigen Komplex der Universität sie David Jorden treffen konnte.
Er saß in dem Arbeitszimmer, das man ihm angewiesen hatte, umgeben von Terminals, Sichtgeräten und der Computer-Micro-Einheit, die alle Daten seines speziellen Arbeitsprogramms speicherte.
Lara wußte, daß er nur noch wenige Tage in Kadnos verbringen würde, um dann seine wissenschaftliche Arbeit an der Universität Indri weiterzuführen. Die Venus bot einem Ökologen mehr praktisches Anschauungsmaterial als der Mars mit seinen endlosen roten Wüsten. Jorden erhob sich, als die Tür auseinanderglitt. Lara las die Unsicherheit in seinen Augen und biß sich auf die Lippen, weil sie sehr genau wußte, daß sie seine Gefühle ausnutzte.
»David! Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Durchaus nicht! Ich freue mich, Sie zu sehen. Und ich freue mich, daß Sie offenbar Ihr wissenschaftliches Interesse wiederentdeckt haben.«
Lara ließ sich auf den Schalensitz sinken, den er ihr anbot. Sie blickte in das schmale Gesicht, das so erstaunlich jungenhaft wirkte für einen hoch qualifizierten Wissenschaftler von knapp dreißig Jahren. Er war fast zehn Jahre älter als Charru, fiel Lara plötzlich ein. Und trotzdem wirkte er jünger, unreifer, weil er nie wirkliche Probleme gehabt hatte.
Jedenfalls nicht bis heute.
Denn heute waren auch für ihn die Dinge nicht mehr so einfach wie vorher. Heute mußte er sich mit Gefühlen auseinandersetzen, die ihn hinterrücks überfallen hatten und alles in Frage stellten, an das er glaubte. Heute befand er sich in der gleichen Lage wie Lara damals, als sie im Verwaltungsgebäude der Staatlichen Zuchtanstalten plötzlich einer Horde Barbaren gegenüberstand, die Nahrungsmittel brauchte, als von einer Stunde zur anderen die Realitäten von Hunger, Kampf und Verzweiflung in ihr wohlgeordnetes Leben einbrachen - als
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