Söhne der Erde 21 - Kampf Um Merkur
gestillt. Und daran möchte ich auch nichts ändern. Glauben Sie, daß Sie ihn beruhigen können?«
Die Verwaltungsdienerin lächelte. Sie war mindestens zwanzig Jahre älter als Lara, und falls sie Kinder hatte, durchliefen die längst das staatliche Erziehungssystem. Aber fünf Jahre lang waren diese Kinder bei ihr gewesen - ein winziger Freiraum, in den der Staat nur wenig hineinredete:
»Ich denke doch, daß ich ihn beruhigen kann. Beim letztenmal ist es mir jedenfalls gelungen. Ich - nun ja, es gibt immer noch ein paar alte Wiegenlieder und ähnliches. Und Kinder sind Kinder, nicht wahr?«
»Danke«, sagte Lara warm.
»Soll ich Säuglingsnahrung aus der Klinik ordern?«
»Nein, das möchte ich nicht. Und ich will auch nicht, daß er Drogen bekommt. Falls es sich vermeiden läßt! Ich will Sie auch nicht überfordern.«
»Ich bin nicht überfordert. Bestimmt nicht.«
Für einen kurzen Augenblick tauschten die beiden Frauen einen Blick des Einverständnisses.
Lara fühlte sich verwirrt, als sie die Suite verließ und im Transportschacht nach unten fuhr, wo David Jordens Gleiter wartete. War es wirklich so einfach, eine zweitausend Jahre alte Kruste von Erziehung und Propaganda zu durchbrechen? Bei ihr selbst hatte eine kurze Begegnung genügt, ein Augenblick - doch das war eine extreme Situation gewesen. Und David Jorden? Die Verwaltungsdienerin? Lara spürte genau, daß selbst diese Frau in ein paar Tagen vielleicht bereit sein würde, auch etwas Illegales zu tun, wenn sie nur überzeugt war, daß dem kleinen Erlend zugute kam. Stand das starre, menschenfeindliche, an strenger Logik orientierte System der Vereinigten Planeten wirklich auf so tönernen Füßen?
Ja, dachte Lara.
Und genau dort lag der unüberwindliche Gegensatz. Ein wenig Kontakt zum wirklichen Leben, zur wirklichen Menschlichkeit genügte, um selbst einen Wissenschaftler und eine von Kind an gedrillte Verwaltungsdienerin an sich selbst irrezumachen. Ein ganzes Volk, wie es die Terraner waren, konnte einfach nicht irgendwo innerhalb der Vereinigten Planeten leben, konnte nicht geduldet werden.
Denn von diesem Volk ging eine innere Überzeugungskraft aus, der die Föderation nichts entgegenzusetzen hatte. Einen Augenblick blieb Lara reglos draußen vor dem mächtigen Quader des Regierungssitzes stehen.
Von einer Sekunde zur anderen spürte sie etwas, das fast Triumph war - weil sie plötzlich wußte, daß die Terraner nicht besiegt werden konnten. Vielleicht würde man sie umbringen; vielleicht ihre Kinder in Erziehungslager schleppen und versuchen, jede Spur von ihnen auszulöschen. Aber man konnte sie nicht besiegen. Sie waren Menschen, und zweitausend Jahre hatten nicht gereicht, um die Menschlichkeit zu töten. Das Erbe der Erde lebte. Und wenn es ein Staat noch nach zweitausend Jahren nicht zu verhindern vermochte, daß dieses Erbe in seiner Mitte neu erweckt wurde, dann würde er es niemals schaffen.
»Sie sehen glücklich aus«, sagte David Jorden, der aus seinem Jet gestiegen war und auf die junge Frau zutrat.
Lara lächelte.
Für einen Augenblick hatte sie sich fast glücklich gefühlt. Aber es wäre schwer gewesen, David den Grund zu erklären.
*
Mikaels Gesicht glich einer angespannten Maske.
Charru und Camelo, Mark Nord, Martell und Dane Farr sahen zu, wie der junge Mann vorsichtig die Energie-Kapsel in das Bohrloch gleiten ließ, den Magnet-Kontakt löste und die Sonde zurückzog. Sie hatten eine Menge Staub absaugen müssen, weil sie am Vortag einfach nicht daran gedacht hatten, die Bohrstellen vor den heftigen Sturmböen zu schützen, die jedesmal nach Einbruch der Dämmerung über die Ebene fegten. Jetzt waren Dane und Mikael fast fertig und brauchten nur noch die letzte Sprengladung zu verdämmen.
Rasch verteilten sich die Männer auf die Beiboote und Gleiter, um in die Deckung einer Felsenbarriere am Rand der Ebene zu fliegen.
Charru spürte die gleiche Spannung wie die anderen, aber mit seinen Gedanken war er nur halb bei der bevorstehenden Sprengung. Er dachte an Cris, der in der Siedlung zurückgeblieben war, an den lastenden Schatten, den John Coradis Tod warf. Jemand hatte sich über jedes Recht und über die Forderungen der eigenen Ehre hinweggesetzt. Jemand, der zu den Terranern gehören mußte - denn einer der Merkur-Siedler hätte sicher keinen Stein benutzt, sondern eine andere, wirksamere Waffe.
Oder?
Charru runzelte die Stirn. Er hatte sich diese Frage bisher überhaupt nicht gestellt. Jetzt
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