Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
Barbarenfürsten zu finden war: Camelo von Landre. Und weiter? Kane runzelte die Stirn. Die blonde Frau mit den bernsteinfarbenen Augen fiel ihm ein. Ganz zweifellos war sie gefährlich, eine potentielle Unruhestifterin. Außerdem gab es unter den Terranern sogenannte Sippenführer. Aber um deren Namen herauszufinden, mußten vermutlich Wahrheitsdrogen eingesetzt werden - so wie bei der Vernehmung der beiden Siedler aus dem Gleiter, der so plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war.
Oder doch nicht?
Kane kniff die Augen zusammen und ließ sich noch einmal seine Informationen durch den Kopf gehen. Die Gefangenen hatten durchaus nicht alle in stolzem, abweisendem Schweigen verharrt. Eine Gruppe, Kinder zumeist, gehörte einer irdischen Rasse an und begriff offenbar nur halb, was überhaupt vorging. Und ein paar andere zeterten und jammerten, beteuerten ausdauernd, daß man sie gezwungen habe, und geiferten förmlich vor Haß gegen die Anhänger Charru von Mornags.
»Dieser sogenannte Oberpriester«, wandte sich Kane an seinen Adjutanten. »Ich will mit ihm sprechen. Lassen Sie ihn sofort hierherbringen.«
Der Offizier nickte und wandte sich ab.
Kane war an den Kommunikator getreten und drückte eine Taste nieder. Das schmale, nichtssagende Gesicht eines Mediziners erschien auf dem Monitor.
»Was ist mit den drei Gefangenen, die unsere Leute bei der Liquidierungsaktion angegriffen haben?« fragte der General.
»Sie sind gerade wieder zu sich gekommen. Der Terraner ist schwer verletzt und liegt auf dem Operationstisch. Bei den beiden Luna-Sträflingen können wir Wahrheitsdrogen anwenden. Aber wir werden wegen der Nachwirkungen der Betäubungsstrahlen vorsichtig dosieren und noch ein paar Stunden warten müssen.«
»Tun Sie das! Und benachrichtigen Sie mich sofort, wenn Ergebnisse vorliegen. Ich halte es für möglich, daß irgendwo noch ein Stützpunkt der Rebellen existiert, der uns entgangen ist.«
»Sehr wohl, General.«
Die Verbindung brach ab.
Minuten später glitt die Tür der Kommandozentrale auseinander, und Bar Nergal wurde hereingeschoben.
Jemand hätte ihn in eine Klinik-Tunika stecken sollen, dachte Manes Kane mechanisch. Die rote Kutte des Oberpriesters bestand endgültig nur noch aus schmutzigen, zerfetzten Lumpen. Bar Nergal war unverletzt, aber der Schock steckte ihm offenbar tief in den Knochen. Staub verschmierte das eingefallene gelbliche Gesicht und den kahlen Schädel. Die schwarzen, tiefliegenden Augen glänzten fiebrig, die blutleeren Lippen bewegten sich, als murmelten sie beständig lautlose Litaneien. General Kane wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück und furchte die Brauen. Er mochte gefühllos sein, unmenschlich in seiner gnadenlosen Konsequenz, aber er war eine geradlinige, integre Persönlichkeit. Die Mischung aus Haß, Angst und Verschlagenheit in Bar Nergals Zügen erfüllte ihn mit instinktivem Widerwillen.
»Setz dich«, sagte er knapp. »Du bist mit den anderen Priestern zusammen untergebracht?«
Bar Nergal nickte zögernd.
»Werdet ihr gut behandelt?«
»Wir beklagen uns nicht, Herr«, krächzte der Oberpriester in einem Ton, dessen beifallheischende Unterwürfigkeit sein Gegenüber anwiderte.
»Ihr seid gezwungen worden, mit den anderen zu kämpfen, höre ich?« fragte Kane.
»Ja, Herr. Wir wollten nicht auf der Erde sterben. Aber wir wollten uns auch nicht eurer Macht widersetzen, wir wollten keinen Kampf, das kann ich schwören.«
Manes Kane glaubte ihm sogar. Keiner der Priester hatte nach der Niederlage auch nur eine Spur von Mut oder einen Rest Würde gezeigt. Nur wenn sie sich stark fühlten, kannten sie keine Skrupel. Die Vernichtung eines »Deimos«Kreuzers über dem ehemaligen Raumhafen von New York kam auf ihr Konto. Der mutmaßliche Tod des marsianischen Offiziers Marius Carrisser auf Terra war ein Punkt, der ebenfalls noch geklärt werden mußte. Kanes Meinung nach mußten die Priester Carrisser so lange gefoltert haben, bis er ihnen die nötigen Kenntnisse vermittelte, um eine Atombombe abwerfen zu können. Der unmittelbare Anlaß dafür, daß die Erdatmosphäre mit Kohlendioxyd angereichert und der gesamte Planet dem Hitzetod ausgeliefert worden war.
Im Augenblick jedoch erschien es Manes Kane nicht opportun, diesen Fragen nachzugehen.
Mit verschränkten Armen lehnte er sich auf seinem Sitz zurück und musterte das ausgemergelte Greisengesicht. Bar Nergal zerrte nervös an seinen dürren Fingern. Er hatte Angst um sein Leben. Und er
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